Neunte Stolpersteinverlegung in der Innenstadt
Bürgermeister
Ingenthron: „Wichtiger Baustein der Erinnerungskultur in
Landau“
Landau- In Gedenken an die früheren jüdischen
Mitbürgerinnen und Mitbürger, wie auch die politisch Verfolgten des
Naziregimes, verlegte der Kölner Künstler und Initiator des
mittlerweile europaweiten STOLPERSTEIN-Projektes, Gunter Demnig, am
Dienstag, dem 17. März 2016, im Beisein von Bürgermeister Dr.
Maximilian Ingenthron und der Landauer Initiative „Stolpersteine“
die nächsten 16 Steine im Stadtgebiet. Seit dem Jahr 2008 sind nun
180 Steine in Landau verlegt worden. Sie erinnern an die jeweils
letzten frei gewählten Wohnsitze jüdischer Mitbürgerinnen und
Mitbürger, wie auch von Angehörigen anderer verfolgter Gruppen.
„Wir gedenken jener, die in der Zeit des Nationalsozialismus
sehr viel Leid erfahren mussten, vertrieben und ermordet worden
sind. Wir alle tragen heute die gesellschaftliche Verantwortung für
unsere Stadt als offenes und menschliches Gemeinwesen. Daher dürfen
und wollen wir nicht vergessen, was damals geschehen ist.
Landauerinnen und Landauer waren Täterinnen und Täter! Und viele
hundert Bürgerinnen und Bürger zählten zu den Opfern!“, betonte
Bürgermeister Ingenthron. Die erste Station der
Stolpersteinverlegung war das Frank-Loebsche Haus in der
Kaufhausgasse 9, wo einst Olga Loeb lebte, deren Biografie von der
Leiterin des Stadtarchivs Christine Kohl-Langer vorgestellt wurde.
Olga Loeb war eine Cousine des Vaters von Anne Frank und die letzte
jüdische Besitzerin des Anwesens. Sie verließ es allerdings im Jahr
1939, um bei Verwandten in Luxemburg Zuflucht zu suchen. Von dort
wurde sie 1943 nach Theresienstadt deportiert, überlebte jedoch und
wurde befreit.
Ein weiterer
Verlegungsort war vor dem Anwesen Langstraße 7 in Gedenken an Else
und Ludwig Teutsch, die von Artur Hackert vorgestellt wurden. Vor
dem Gebäude Ravelinstraße 2 wurde ein Stein für Dr. Eugen Fried
verlegt, zudem wird in der Martin-Luther-Straße 28 an Lucie Weiss
erinnert. Vor dem Haus im Ostring 26 liegen nun Steine für Rudolf,
Leopold und Paula Strauss, sowie für Susanne Haas. Im Ostring 14
wurden Gedenksteine für Albert, Anna und Paul Martin Joseph
eingesetzt. Auch die letzte Station befand sich im Ostring. Vor der
Hausnummer 12 wurden Stolpersteine für Margrit und Traute Cahn und
Anna und Emil Joseph in das Pflaster eingelassen.
Musikalisch begleitet wurde die Verlegung durch den
Saxophonisten Peter Damm.
„Ich finde es wichtig, dass man in Form dieser Stolpersteine die
Erinnerung an Schicksale erhalten kann und so auch an die
schreckliche Geschichte unseres Landes gedenkt“, erklärte
Ingenthron.
Mit den Stolpersteinen geben wir den Verfolgten und Ermordeten
einen Teil ihrer Würde zurück: ihren Namen, ihren Platz in unserer
Erinnerung, in der Mitte unserer Gesellschaft, in der Mitte unserer
Stadt. „Das ist heute wichtiger denn je. Es ist eben die Botschaft,
die auch von diesem Tag ausgeht: Nie wieder soll und darf es
geschehen. Dass Menschen vertrieben und ermordet werden. Es ist
auch eine Botschaft inmitten der Diskussion um Flucht und
Fluchtursachen, um deren Folgen.“, meinte der Bürgermeister in
seiner Ansprache.
Ingenthron dankte allen, die zum Gelingen und Wachsen des
Projektes in Landau beitragen, so den Patinnen und Paten, die die
Stolpersteine finanzieren, der Initiative „Stolpersteine“ und den
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung.
Text und Foto: Stadt Landau in der Pfalz, Presse
18.03.2016
Speyer trauert um Alfred Cahn
Alfred Cahn, Speyerer Komponist und Holocaustüberlebender
im Alter von 93 Jahren gestorben
Speyer- Der 1922 in Speyer geborene Musiker und
Komponist ist am 5. Februar 2016 im Alter von 93 Jahren in
Milwaukee (USA) verstorben.
„In tiefer Dankbarkeit wird sich seine alte Heimatstadt
Speyer an die Begegnungen mit Alfred Cahn erinnern“, so
Oberbürgermeister Hansjörg Eger in einem Kondolenzschreiben an die
Hinterbliebenen. Unvergessen bleibt vor allem sein Besuch im Jahr
2000, als er im Historischen Ratssaal das Stück „Kol haSchana“
spielte, das er schon 1937 als Organist der Speyerer Synagoge
gespielt hatte. Bei deren Brand in der Reichsprogromnacht 1938
wurden die Noten zerstört.
Cahn war einer der letzten Überlebenden des Holocausts, der als
Zeitzeuge den Austausch mit den Nachfolgegenerationen gesucht hat.
Die Jugendlichen und Erwachsenen, die Cahn begegnet sind, wusste er
mit einem außergewöhnlichen Maß an menschlicher Größe zu
beeindrucken.
Alfred Cahn, geboren und aufgewachsen als Sohn eines
Tabakhändlers in der Maximilianstraße, wurde 1940 mit gerade
einmal 18 Jahren ins Internierungslager Camp de Gurs verbracht. Aus
dieser Zeit stammt das Lied „Wir sind ganz junge Bäumchen“, dass er
dort komponiert und mit einem Kinderchor einstudiert und aufgeführt
hatte. Als einziger der aus Speyer deportierten Juden überlebte
Cahn das Lager und flüchtete über die Schweiz in die USA, wo er bis
zu seinem Tod lebte.
Stadt Speyer, Presse; Foto: spk-Archiv
09.02.2016
Landau - Gedenkveranstaltung 75 Jahre Deportation nach Gurs
OB und Landrätin: „Es
geht um Verantwortung - damals und heute!“
Landau- Vor 75 Jahren, am 22. Oktober 1940,
wurden über 6.500 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland in
das im unbesetzten Frankreich gelegene Internierungslager Gurs
deportiert. Darunter waren auch 283 Menschen jüdischen Glaubens aus
Landau und dem heutigen Landkreis Südliche Weinstraße. Nur wenige
konnten aus Gurs flüchten, für viele von ihnen war dies nur eine
Zwischenstation in die Vernichtungslager des Ostens.
In der gemeinsamen Gedenkveranstaltung der Stadt Landau und des
Landkreises Südliche Weinstraße im Innenhof des Archiv und Museum
der Stadtverwaltung, nannte Oberbürgermeister Hans-Dieter Schlimmer
den 22. Oktober 1940 einen „traurigen, schwarzen Tag der Geschichte
unserer Stadt und Region“. Mit den Worten Max Frischs „Blinder als
blind ist der Ängstliche“, rief Schlimmer dazu auf, stark,
selbstbewusst und wehrhaft zu sein und offen, neugierig und mutig
zu bleiben. Bei all dem dürfe man nicht vergessen: „Wir stehen in
der Verantwortung, sich der Geschichte immer wieder zu erinnern und
die Namen der Opfer, Menschen aus unserer Stadt, aus unserer
Region, nie zu vergessen“, so der Oberbürgermeister. OB: „Zeigen
wir uns als starke Bürgerschaft, die nicht erlaubt, dass die Saat
der Angst, die die gleichen Kräfte von damals in unserer Köpfen zu
säen versuchen, als Hass aufgeht!“
Landrätin Theresia
Riedmaier ist sich mit ihrem Amtskollegen Schlimmer einig, dass in
der aktuell größten Herausforderung für die Gesellschaft, der
Flüchtlingskrise, den Gedanken der offenen Gesellschaft
weiterzutragen und die Demokratie zu schützen wichtiger denn je
sei. „Ich erlebe in dieser Zeit viel Zuwendung, Warmherzigkeit,
Hilfsbereitschaft und Vernunft. Aber ich beobachte eben auch viel
Hass einer lauten oder dumpf schweigenden Minderheit“, so die
Landrätin. Dabei stellte sie heraus, dass wir unsere
Menschlichkeit, unsere Hilfsbereitschaft und Nächstenliebe nicht
zum Selbstzweck bewahren sollten, sondern dem Zitat von Hannah
Arendt -einer der bedeutendsten Denkerinnen des 20. Jahrhunderts-
zufolge „Aus Liebe zur Welt“.
Wolfgang Pauly zeigte in seinen Ausführungen, dass hinter „den
Juden“, „den Opfern“ Menschen waren: „Menschen wie Du und ich“.
Außerdem führte er aus, dass in der jüdischen, christlichen und
islamischen Tradition der Name von zentraler Bedeutung sei. Pauly:
„Er ermöglicht Ansprache und Zuspruch und schafft Identität!“.
Deshalb sei es so wichtig, die Namen nie zu vergessen und sie immer
wieder ins Gedächtnis zu rufen. Im Anschluss daran verlasen sechs
junge Menschen, Auszubildende der Stadtverwaltung und Schüler des
MSG und ESG die 283 Namen der Juden, die vor 75 Jahren nach Gurs
deportiert worden waren. Musisch untermalt wurde die Gedenkfeier in
würdiger Weise am Saxophon von Paul Damm zusammen mit Michael
Letzel am Akkordeon.
Stadt Landau in der Pfalz, Presse
24.10.2015
„Damit es nicht vergessen wird“: Menschen in Städten und Gemeinden der Kurpfalz gedenken (fast alle) der Deportation der Juden vor 75 Jahren in das französiche Lager Gurs
Von Gerhard Cantzler
„Gurs“ - der Name der kleinen französische Ortschaft am
nordöstlichen Fuße der Pyrenäen.
Für gut 17.000 deutsche Juden, unter ihnen allein mehr als 7.000
aus Baden, der Pfalz und der Saarpfalz – markierte er vor jetzt
genau 75 Jahren den Beginn einer vierjährigen Leidenszeit, die für
die meisten von ihnen mit ihrem gewaltsamen, qualvollen Tod in
einem der Vernichtungslager des Ostens endete.
Und schon wenige Tage, nachdem die Züge mit den in Viehwaggons
eingepferchten Abertausenden von Menschen die Kurpfalz in Richtung
Südwesten hinter sich gelassen hatten, konnten die zuständigen
NS-Gauleiter des Nazi-Regimes, Robert Wagner für
den Gau Baden und der aus dem pfälzischen Lingenfeld stammende
Joseph Bürckel für die Pfalz und die Saarpfalz ihrem
verbrecherischen „Führer“ in Berlin voller Stolz ihre Gaue als
„judenfrei“ melden.Am vorläufigen Ziel ihrer Deportation zwischen
Pau und Bayonne wurden die Internierten im „Camp de
Gurs“ inhaftiert, das bereits vor dem
Zweiten Weltkrieg als größtes französisches Internierungslager für
politische Flüchtlinge und Kämpfer des spanischen Bürgerkrieges
eingerichtet worden war.
Dort fanden auch die aus der Kurpfalz deportierten Juden
verheerende Lebensverhältnisse vor: Das in stacheldrahtumzäunte
sogen. Îlôts - kleine „Inseln“ - eingeteilte Lager mit jeweils 25,
von Ungeziefer verseuchten, innen wie außen feuchten und
unbeheizten Baracken mit je 60, gerade einmal 70 Zentimeter breiten
Schlafplätzen – die Häftlinge mussten dort Anfangs gar auf dem
nackten Erdboden schlafen und durften sich erst im Laufe der Zeit
einen einfachen Strohsack füllen – waren „Brutplätze“
unterschiedlichster Krankheiten wie Ruhr u.a.m. Tagtäglich starben
in dieser Zeit im Lager Gurs im Durchschnitt sieben Menschen.Die
Wege zwischen den Baracken seien durch den Regen oft kniehoch mit
Schlamm überzogen gewesen - an die tagtäglich ausgeteilte, kalte
„Suppe“, so erinnerte sich später einer der wenigen überlebenden
Häftlinge von Gurs, der schon zu Beginn der Naziherrschaft aus
seiner Heimatstadt Schwetzingen in das benachbarte größere und
deshalb vermeintlich sicherere Mannheim geflohene Paul
Niedermann, habe ihn bis an sein Lebensende sein
„verdrecktes Abwaschwasser“ erinnert.
Nur wenigen Insassen des Lagers gelang es, zumeist mit
finanzieller Hilfe von außen. an Ausreisegenehmigungen zu kommen
und in die USA, nach Südamerika, China oder England zu emigrieren.
Vor allem Kinder vor Vollendung ihres 12. Lebensjahres konnten mit
Hilfe des Internationalen Roten Kreuzes in „Kindertransporten“ den
Machtbereich der Nazis verlassen. Die anderen wurden fast
ausnahmslos im Jahre 1944 in die Vernichtungslager des Ostens –
nach Auschwitz, Sobibor und Maijdannek transportiert, wo sie
zumeist in den Gaskammern ermordet wurden.
So markiert dieser 22. Oktober 1940 den Startpunkt für
die bis heute noch unfassbare Ermordung bzw. die Vertreibung aller
Menschen jüdischen Glaubens auch aus der gesamten Kurpfalz und
damit für den bis heute nachwirkenden Verlust eines bedeutsamen
Teils deutscher und europäischer Kultur.
An diesem Donnerstag nun jährte sich dieser Tag zum 75.mal -
Grund genug, (fast) überall in der Region, in Städten und Gemeinden
der Kurpfalz, mit Gedenkveranstaltungen an dem Jahrestag selbst
oder in seinem zeitlichen Umfeld an dieses Ereignis zu erinnern. In
Wiesloch und Landau, in Neustadt/Weinstraße und Mutterstadt und an
vielen anderen Orten trafen sich Bürgerinnen und Bürger bereits am
22. Oktober zum zumeist von Schülerinnen und Schülern gestalteten
Gedenken - in Frankenthal ist dafür der 5. November, 19.00 Uhr im
Rathaus, in Deidesheim der 8. November, 11.00 Uhr in der ehemaligen
Synagoge vorgesehen. In Speyer, der einst für das Judentum so
bedeutsamen SchUM-Stadt, wird Bürgermeisterin Monika
Kabs am 24. Oktober bei der zentralen Gedenkfeier in Gurs
weilen – auf eine Feier vor Ort wollte man mit Hinweis auf den
ausgiebig begangenen 70. Jahrestag vor fünf Jahren verzichten.
Der SPEYER-KURIER hat deshalb die
bewegend-würdige Gedenkfeier zum 75. Jahrestag der Deportation der
Kurpfälzer Juden an dem im Jahr 2006 eingeweihten Mahnmal am
Seiteneingang zum Schloßgarten in der Schwetzinger Zeyherstraße -
dem Torso einer Thora-Rolle, dessen "Passstück" in Neckarzimmern zu
finden ist, besucht, Dort hatten Schülerinnen und Schüler des
„Hebel-Gymnasiums“ Konzeption und Durchführung der Feier
übernommen, hatten mit viel Einfühlungsvermögen Lieder ausgewählt
und Gedichte von Auschwitz-Opfern ausgesucht. Besonders
beeindruckend dabei die Art, die Namen der 22 betroffenen
Schwetzinger Mitbürgerinnen und Mitbürger jüdischen Glaubens in das
Gedenken mit einzubinden, von denen am 22. Oktober 1940 noch fünf
in der Festspielstadt lebten; die 17 anderen waren schon kurz nach
der „Machtergreifung“ in der trügerischen Hoffnung auf mehr
Sicherheit in den benachbarten, größeren Städten – überwiegend nach
Mannheim – ausgewichen.
Zu Beginn der Feier hatte auch der Schwetzinger
Oberbürgermeister Dr. René Pöltl die Meldung von
der „Judenfreiheit“ des NS-Gaus Baden als eine besonders perfide
Formulierung gegeißelt. Dass aber dann die Deportation der
jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger ausgerechnet an dem Tag
begonnen habe, an dem diese mit ihrem „Laubhüttenfest“ ein „Fest
der Hoffnung“ feiern wollten, habe diese Perfidie noch einmal um
ein Vielfaches übertroffen, habe dieser Tag doch für das Judentum
in ganz Deutschland und für seine Glaubensgenossen einen weiteren
Schritt hin zu ihrer massenhaften Ermordung angekündigt.
Nur wenige aus Schwetzingen stammende Juden hätten das Grauen
jener Zeit überlebt, erinnerte der Oberbürgermeister. Eine davon
sei Ruth Gogol gewesen, die erst vor wenigen
Wochen, am 24. August 2015, im Alter von 88 Jahren in Tel Aviv
gestorben ist, Auch sie sei an jenem 22. Oktober 1940 gemeinsam mit
ihrer Mutter und ihren beiden Schwestern nach Gurs deportiert
worden – Mutter und Schwestern wurden später im KZ Auschwitz
ermordet, die damals 13 jährige Ruth konnte dank eines der
Kindertransporte nach Israel gerettet werden. „Wir werden Ruth
Gogol nicht vergessen“, versprach Dr. Pöltl.
Eingebettet zwischen weitere anrührende Textrezitationen
durch Schülerinnen und Schüler des Hebel-Gymnasiums und dem von
Aart Gisolf auf dem Sopran-Saxophon ganz im Stile
der traditionellen jiddischen Kletzmer-Musik in näselnd-klagendem
Ton vorgetragenen „Blues Israel“ verlas dann der Evangelische
Pfarrer von Schwetzingen, Thilo Müller, ein vom
Freiburger Erzbischof Stephan Burger, dem
Speyerer Bischof Dr. Karl-Heinz Wiesemann sowie
dem Präsidenten der Protestantischen Landeskirche der
Pfalz, Christian Schad und dem badischen
Landesbischof Jochen
Cornelius-Bundschuh unterzeichnetes Wort, in dem die vier
Kirchen ihre Versäumnisse in der Zeit des „Dritten Reiches“
beklagen und ihre Solidarität mit den „jüdischen Schwestern und
Brüdern“ bekunden.
Lesen Sie diese gemeinsame Erklärung im Wortlaut im
SPEYER-KURIER
„Damit ich es net vergeß“ mahnt ein uraltes jiddisches
Wort – und damit wir alle sie nicht vergessen, will auch der
SPEYER-KURIER im folgenden an jene Schwetzinger
Juden erinnern, deren Namen bei der Feier zum Gedenken an die
Deportationen am 22. Oktober 2015 noch einmal laut verlesen
wurden.
Mögen Sie für alle stehen, die von diesem Tag an ihr Schicksal
teilen mussten.
Lesung der Namen:
Sie alle wohnten bis zum 22. Oktober 1940 in Schwetzingen,
wurden an diesem Tag frühmorgens gegen ihren Willen abgeholt und
nach Gurs/Südfrankreich deportiert, von wo aus sie gerettet oder
nach Auschwitz verbracht und ermordet wurden:
Frieda Bermann, geborene Frank, 57 Jahre alt,
wohnhaft in der Maximilianstraße 4 mit ihren Töchtern:
Therese Bermann, 28 Jahre alt
Else Bermann, 20 Jahre alt; alle drei nach Gurs
und dann nach Auschwitz.
Ruth Bermann, 13 Jahre alt; nach Gurs und von
dort gerettet, verstarb am 24. August 2015 nach ihrer Verehelichung
in Israel als Ruth Gogol im Alter von 88 Jahren in Tel Aviv.
Flora Vogel, geborene Rotschild, 62 Jahre alt,
wohnhaft in der Marstallstraße 28, über Gurs nach Auschwitz.
Die nachfolgenden Mitbürgerinnen und Mitbürger zogen nach dem
30. Januar 1933 notgedrungen aus Schwetzingen weg, waren an anderen
Orten wohnhaft und wurden von dort aus deportiert und in den
Todeslagern umgebracht oder gerettet:
Klara Bierig, geborene Springer, mit ihrem
Ehemann Max Bierig, aus Mannheim über Gurs nach
Auschwitz.
Martha Bierig und Tochter Renate
Bierig, nach Gurs deportiert und von dort gerettet nach
Belgien.
Eva Katzenstein, geborene Weinberg, mit
ihrer Tochter Marianne, aus Pforzheim und Karlsruhe über
Gurs nach Auschwitz.
Auguste Levi, geborene Mayer, von Mannheim über
Gurs ins KZ Noé, dort umgekommen.
Lottchen Levi, geborene Marx, von Mannheim über
Gurs nach Récébédou, dort umgekommen.
Henriette Lorch, von Mannheim über Gurs nach
Auschwitz, dort umgekommen.
Clementine Metzger und ihre Schwester
Hedwig Metzger, beide von Mannheim über Gurs nach
Auschwitz.
Joseph Seidenberger, von Mannheim nach Gurs,
dort umgekommen.
Albert Springer und seine Ehefrau
Liselotte Springer, geborene Klinger, beide von Mannheim
über Gurs nach Auschwitz und dort umgekommen.
Bertha Stein, geborene Frank, von Mannheim über
Gurs nach Auschwitz.
Ihr Sohn Alfred Stein, von Mannheim nach Gurs
und von dort gerettet.
Clara Weiss, geborene Marx, von Mannheim nach
Gurs, dort verschollen.
Quelle: Stadtarchiv Schwetzingen/ J. Kresin - Stand:
12.10.2015
Fotos: gc
23.10.2015
Gemeinsames Wort der Kirchen zum 75. Jahrestag der Deportation nach Gurs am 22. Oktober 1940
Wenn wir in diesem Jahr der Deportation jüdischer
Mitmenschen nach Gurs vor 75 Jahren gedenken, dann tun wir dies
nicht nur, um die Erinnerung an diese schrecklichen Geschehnisse
wach zu halten, sondern auch um dafür zu sensibilisieren, dass
solche Gräueltaten nie wieder geschehen dürfen. Gerade auch die
aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen wie der Blick in andere
Länder fordern uns heraus, uns zu Wort zu melden, wenn die Würde
des Menschen angetastet oder gar mit Füßen getreten wird.
Am frühen Morgen des 22. und 23.Oktober 1940 wurden über 6.500
badische, pfälzische und saarländische Juden und Christen jüdischer
Abstammung von den Nazis festgenommen, in Züge verfrachtet und in
das Internierungslager Gurs am Fuße der südfranzösischen Pyrenäen
verschleppt. Dieser Ort wurde so für die jüdischen Mitmenschen aus
unseren Städten und Gemeinden für Alte, Kranke, Männer, Frauen,
Kinder und Babys zum Ort des Verderbens.
Mit dieser verbrecherischen Aktion wurde das jüdische Leben in
Baden, der Pfalz und im Saarland langfristig und grundlegend
zerstört, Mitbürgerinnen und Mitbürger ihrer Heimat beraubt.
Was damals geschah, vollzog sich vor aller Augen. Als die
Gauleiter Badens und der Saarpfalz ihre Gaue stolz als „judenrein“
meldeten, erhoben sich kein Sturm der Entrüstung und kein
wahrnehmbarer Protest. „Der Abtransport ging in aller Ordnung vor
sich“, so notierte lapidar der Freiburger Polizeibericht. Längst
hatte sich angebahnt, was dann bei der berüchtigten
Wannsee-Konferenz 1942 auf den Begriff der Endlösung gebracht
wurde. Für Tausende jüdischer Menschen endete ihr Leidensweg nach
Gurs schließlich in Zügen in die Vernichtungslager von Majdanek,
Sobibor oder Auschwitz.
Die Schwestern und Brüder des jüdischen Gottesvolkes feierten in
jenen Tagen, in denen sie die Deportation erleiden mussten, das
Laubhüttenfest: die Bewahrung des Volkes Israels auf seinem Zug
durch die Wüste, aus der Knechtschaft ins Land der Verheißung. Doch
die Oktobertage des Jahres 1940 verkehrten diesen jüdischen
Freiheitszug in einen Trauermarsch der Diffamierten und
Entrechteten.
Anlässlich des diesjährigen Jahrestages der Deportation erkennen
und bekennen wir: Kirchen und Christenmenschen haben zur Bedrohung
und Vernichtung jüdischen Lebens in der deutschen Geschichte allzu
oft geschwiegen oder sie gar befördert. Auch vor 75 Jahren war das
nicht anders. Tatenlos standen die Kirchen dem Geschehen gegenüber,
wo entschlossenes Handeln gefragt gewesen wäre; sprachlos dort, wo
der Aufschrei der Kirchen hätte hörbar werden müssen.
Im Gedenken an die Opfer bekennen wir heute ohne Wenn und Aber
unsere Schuld.
In ökumenischer Verbundenheit suchen wir heute Wege, um unsere
Beziehung zu Israel und zum Judentum zu erneuern. Dabei trägt uns
die Einsicht in die unverbrüchliche Geltung des Bundes Gottes mit
seinem Volk. Die Kirchen, die zu „Gurs“ geschwiegen haben, erheben
heute ihre Stimme gegen Antisemitismus und Rassismus, treten ein
für die Rechte anderer und rufen auf zu politischer Wachsamkeit und
Zivilcourage.
Unsere Kirchen in der Pfalz und in Baden begrüßen und fördern
nach Kräften Initiativen und Einrichtungen, die sich der
Neugestaltung des Verhältnisses von Judentum und Christentum widmen
und Begegnungen zwischen jüdischen und christlichen Menschen
ermöglichen.
Sie unterstützen die Bemühungen aller Menschen guten Willens,
das menschenverachtende Geschehen von Gurs nicht dem Vergessen zu
überlassen. Hoffnungsvoll blicken wir auf die Bereitschaft vieler
junger Menschen, das Wahrnehmen und Aufarbeiten der Schuld in der
Vergangenheit mit einem Erinnern zu verbinden, das auch die
Gegenwart und die Zukunft Israels und des Judentums im Blick hat.
Dafür steht als Beispiel das Ökumenische Jugendprojekt Mahnmal in
Neckarzimmern.
Möge das Gedenken an „Gurs“ im Jahre 2015 ein weiterer
Meilenstein auf dem Weg zu gegenseitiger Achtung, zu Respekt und
Geschwisterlichkeit zwischen jüdischen und christlichen Menschen
werden. Möge der Wunsch aus Psalm 122 in Erfüllung gehen: Friede
wohne in deinen Mauern, in deinen Häusern Geborgenheit.
Landesbischof Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh
Evangelische Landeskirche in Baden
Erzbischof Stephan Burger Erzdiözese Freiburg
Kirchenpräsident Christian Schad Evangelische Kirche der
Pfalz (Protestantische Landeskirche)
Bischof Dr.Karl-Heinz Wiesemann Diözese Speyer
24.10.2015
Für mehr Gemeinschaft nach innen und nach außen
Neu gewählter
Vorstand der „Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ zu den
Zielen für die neue Amtszeit
cr. Speyer- Die konsequente Fortsetzung ihres
bereits in der letzten Wahlperiode eingeschlagenen
Konsolidierungskurses soll auch im Mittelpunkt der nächsten
Amtszeit des vor kurzem neu gewählten Vorstandes der „Jüdischen
Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ mit Sitz in Speyer stehen. Das
erklärte jetzt der alte und neue Vorstandsvorsitzende der
Kultusgemeinde, Israel Epstein, in einem Gespräch mit dem
SPEYER-KURIER. Hierzu wolle der neue Vorstand
insbesondere die Organisationsstruktur der Gemeinde weiter
festigen, die Popularisierung ihrer Gottesdienste fördern und die
Stärkung der religiösen und sozialen Kompetenzen ihrer Mitglieder
vorantreiben. Insbesondere Jugendliche, junge Erwachsene und
erwachsene Gemeindemitglieder sollten so zu einer funktionierenden
Gemeinschaft zusammengeführt werden. „Darüber sollen aber auch
unsere älteren Gemeindemitglieder nicht vergessen werden“, betonte
Epstein, der in seinem Brotberuf einen Pflegedienst für rund 200
Patientinnen und Patienten im Rhein-Neckar-Raum mit Sitz in
Frankenthal betreibt. „Circa 40 Prozent unserer Patienten dürften
jüdischen Glaubens sein“, erklärte der bereits vor 13 Jahren aus
der russischen Kulturmetropole St. Petersburg nach Deutschland
zugewanderte Epstein auf Nachfrage. „Die Religionszugehörigkeit ist
also kein vorrangig bestimmendes Thema für unsere sozialen
Dienstleistungen“.
Israel Epstein, der nach 25 jähriger Dienstzeit
als Offizier in der sowjetischen Armee – zuletzt an der
Militärakademie in Woronesch - ein Doppelstudium in Sozial- und
Wirtschaftswissenschaften absolvierte, war bei der erst kürzlich
erfolgten Wahl des neuen fünfköpfigen Vorstandes der
„Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ mit 89 Prozent der abgegebenen
Stimmen erneut in den Vorstand der Gemeinschaft gewählt und
anschließend satzungsgemäß aus der Mitte des Gremium ohne
Gegenkandidat zum Vorstandsvorsitzenden bestellt worden. „Ein
überwältigender Vertrauensbeweis und eine Bestätigung für meine
schon bisher geleistete Arbeit, der mich sehr berührt hat“, so der
alte und neue Vorstandsvorsitzende.
Weitere
Mitglieder des auf vier Jahre gewählten Vorstandes sind
Evgenia Kucherovska, Kaiserslautern, Dr.
Larissa Janzewitsch, Kaiserslautern, Galina
Derbinskaya, Speyer und Abbat Persydskyy,
Ludwigshafen.
Für die Wahlen waren zuvor insgesamt neun Kandidaten aus dem
gesamten Wirkungskreis der „Jüdischen Kultusgemeinde der
Rheinpfalz“ nominiert worden. Wahlberechtigt waren schließlich 650
registrierte Gemeindemitglieder aus den Regionen Kaiserslautern,
Ludwigshafen, Neustadt/Weinstraße, Frankenthal und Speyer – 142
davon aus der Gemeinde der neuen Synagoge „Beith Schalom“ auf dem
Speyerer Weidenberg.
Auf die Frage nach den Zielen des neuen Vorstandes für die vor
ihm liegende Amtszeit muss Israel Epstein natürlich auf eine
Verantwortlichkeit verweisen, die weit über Speyer und den Raum
Vorderpfalz hinausreicht. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass der
neue Vorstandsvorsitzende als erste Aufgabe die Errichtung eines
neuen Gemeindezentrums in Kaiserslautern benennt, die erst kürzlich
auf den Weg gebracht werden konnte.
Doch auch für die zahlreichen Mitglieder der Speyerer Gemeinde
kann sich der neue Vorstand die Errichtung einer neuen Wohnanlage
vorstellen, wobei dort nach Epsteins Vorstellungen Juden und
Nichtjuden Tür an Tür leben sollten.
Überhaupt sei
'Gemeinschaft' eines der zentralen, selbstgesteckten Ziele des
neuen Gemeindevorstandes – 'Gemeinschaft und Gemeinsamkeit' nach
innen wie nach außen. So wolle man sich neben der Konsolidierung
der laufenden Gemeindearbeit nach innen vor allem auch darum
bemühen, jüdische Glaubensgenossen, die heute in der „uralten
jüdischen Metropole am Rhein“ leben, ohne sich bereits der Gemeinde
von „Beith Schalom“ zugehörig zu fühlen, in diesen Kreis zu
integrieren. „Wir möchten nicht länger, dass Menschen darunter
leiden, sich nicht unserer Gemeinde zugehörig fühlen zu können“,
unterstreicht Epstein den Willen seines Vorstandes zur Einheit und
erklärt dazu auch seine eigene, uneingeschränkte Bereitschaft, „zu
jeder Zeit und an jedem Ort“ zu konstruktiven Gesprächen mit
solchen Gruppen oder Einzelpersönlichkeiten zusammenzutreffen.
Daneben zeigt sich der neue Vorstand fest entschlossen, das
jüdische Gemeindezentrum auf dem Weidenberg zu einer
Begegnungsstätte für „Menschen aller Glaubensgemeinschaften in der
Stadt“ weiterzuentwickeln. „Die neue Synagoge steht für alle
Menschen offen, die an den einen Gott glauben“, unterstreicht
Epstein. Dazu gehöre aber auch das „Verstehen der gemeinsamen
Sprache“; ein Angebot von Sprachkursen für Zuwanderer sei deshalb
eine Option, die in der Gemeinde auf wachsende Sympathie stoße.
„Dabei kann es allerdings sicher nicht darum gehen, die Menschen in
Stand zu setzen, hochkomplexe Texte zu verstehen. Vielmehr sollen
sie sich mit ihrem ganz unterschiedlichen Lebens- und
Erfahrungshintergrund im Alltag zurecht finden, sowie sich
gegenseitig austauschen und verständlich machen können“, wünscht
sich Epstein, der zum Abschluss des Gespräches mit dem
SPEYER-KURIER noch einmal die Einladung der
Kultusgemeinde an die Speyerer Bevölkerung zur regen Anteilnahme an
dem „reichhaltigen religiösen und kulturellen Leben“ in der neuen
Speyerer Synagogengemeinde wiederholt. Foto: gc/ Jüd.
Kultusgem.
05.12.2014
„La Rosa enflorence“ präsentiert Video mit selten gespielter sephardischer Musik
Mit Flöten,
Theorbe, Barockvioline und Gesang: „La Rosa enflorence“ präsentiert
Video mit selten gespielter sephardischer Musik
Speyer- cr. Als kürzlich die
Mitglieder des „Interreligiöen Forums Speyer“ bei ihrem Bemühen,
die jeweils anderen Glaubensgemeinschaften in der Stadt besser
kennenzulernen, auch die neue Synagoge „Beith Schalom“ auf dem
Speyerer Weidenberg besuchten, da wurde ihnen eine musikalische
Begegnung der ganz besonderen Art zuteil (Lesen Sie dazu auch
unseren Beitrag „Das ist mir heilig" im
SPEYER-KURIER vom 20. Mai 2014:) Mit
„La Rosa enflorence“ (Almut-Marie
Fingerle, Gesang, Almut Werner, Blockflöten, Johannes Vogt, Theorbe
und Daniel Spektor, Barockvioline) lernten sie dabei ein
Solistenensemble kennen, das seit längerem schon mit selten
gespielter sephardischer Musik und dem dazu gehörenden Liedgut auf
sich aufmerksam macht.
Sepharden sind neben den Ashkenasim und den Mizrahim eine von
drei ethnischen Hauptwurzeln des frühen europäischen Judentums, die
sich, ursprünglich auf die Iberischen Halbinsel konzentriert, nach
und nach rund um das Mittelmeer ausbreiteten. In ihre neuen
Kulturräume brachten sie auch ihre Musik mit - ihre Lieder, die in
„Ladino“ - einer gemeinsamen jüdischen Sprache – abgefasst waren,
die sich - angereichert um Sprachbestandteile der
unterschiedlichen, aufnehmenden ethnischen Gruppen
weiterentwickelten. Von dort gelangte das „Ladinische“ wohl schon
im Mittelalter auch in die „Zentren der Jüdischen Gelehrsamkeit am
Rhein“ - nach Mainz, Worms und Speyer.
Sehen Sie das uns von „La Rosa enflorence“ zur
Verfügung gestellte Video, das einen Eindruck von dieser so
faszinierenden Musik vermittelt.
Und erfahren Sie hier mehr über die Gruppe La Rosa enflorence
https://myspace.com/larosaenflorece
Foto: SteamMix Video: La Rosa enflorence
01.07.2014
Damit sie nicht vergessen werden – Gedenktafel an 51 im Jahr 1940 nach Gurs deportierte Speyerer Juden enthüllt
Die Musik
rettete sein Leben: Das Schicksal des Speyerers Alfred
Cahn
von Gerhard Cantzter
Am kommenden Samstag, am 09. November 2013, jährt sich einer der
zweifelsohne unseligsten Tage in der deutschen Geschichte zum
75.Mal – der Tag, an dem in der Heimat von Immauel Kant, von Johann
Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller, von Ludwig van
Beethoven und Johann Sebastian Bach die Fackel der Humanität und
der Mitmenschlichkeit erlosch – als in Deutschland die Synagogen
brannten und jüdische Menschen umgebracht oder aus einem Lande
getrieben wurden, das über viele Generationen auch ihre Heimat war.
Dieser Tag markiert den Beginn einer sich in den 1930er Jahren mit
unvorstellberer Geschwindigkeit vollziehendern Entwicklung, die aus
guten Nachbarn verachtete Außenseiter und aus guten Freunden Feinde
machen sollte. In diesen erinnerungsschweren Herbsttagen rufen wir
uns so manchen dieser Tage ins Gedächtnis, die die Deutschen damals
auf ihrem Weg in den Untergang begleiten solten.
Einer der schwärzesten dieser Tage in der Geschichte der Pfalz
und der in ihr bestehenden, bis dahin hoch angesehenen Jüdischen
Gemeinde zu Speyer – war der 22. Oktober 1940, als die Nazis 51
Speyerer Bürgerinnen und Bürger jüdischen Glaubens abholten und sie
gemeinsam mit insgesamt 6.538 ihrer Glaubensgenossen aus Baden, der
Pfalz und dem Saarland in das südfranzösische Internierungslager
Gurs am Fuße der Pyrenäen deportierten. Von dort sollte sie nach
leidvollen und entbehrungsreichen Monaten ihr Weg in die
Vernichtungslager des Ostens, nach Auschwitz und nach Sobibor
führen.
Seit kurzem
will eine von dem jungen Kaiserslauterer Maler und Objektkünstler
Eugen Yemelin (25) gestaltete Erinnerungstafel in
der Eingangshalle der neuen Synagoge „Beith Shalom“ auf dem
Speyerer Weidenberg mit bewegenden Bildern und der Enumeration
aller Namen der aus Speyer Deportierten die jüdischen Opfer der
Verfolgung dauerhaft vor dem Vergessen bewahren. „Auch in Speyer
wurde an diesem Tag an einem der dunkelsten Kapitel der deutschen
Geschichte mitgeschrieben“, erinnerte der Speyerer
Oberbürgermeister Hansjörg Eger bei der Enthüllung
des Mahnmals, zu der neben zahlreichen Mitgliedern der neu
entstandenen Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz auch Vertreter
des „Interreligiösen Forums“ gekommen waren. Der Oberbürgermeister
dankte Landesarchiv und Landesbibliothek für ihre Recherchen für
die Erinnerungstafel,, vor allem auch dem Speyerer Stadtarchiv,
namentlich Katrin Hopstock, die sich seit langem
intensiv mit der Aufarbeitung der Nazizeit in Speyer befasst. Sie
hatte auch die Grundlagen für die Namensliste der jüdischen Opfer
gelegt und historische Fotos zusammengetragen, die jetzt das
jüdische Leben in dieser Zeit lebendig werden lassen.
51 Namen snd
auf der Namenstafel vermerkt – von Eveline und Deborah
Blum, letztere zum Zeitpunkt ihrer Deportation nicht
einmal vier Jahre alt bis zu dem damals 86jährigen Lazarus
Schaaf, der an den unmittelbaren Folgen der Deportation 19
Tage später starb.
Erinnerung an den einzigen Überlebenden dieser
Deportation: Alfred Cahn.
Eines der historischen Fotos auf der Gedenktafel zeigt auch
einen der ganz wenigen, die die Deportation nach Gurs überleben
sollte: Alfred Cahn, damals gerade einmal 18 Jahre
alt, der als Sohn eines Tabkwarenhändlers in der Maximilianstraße
64 aufwuchs, sollte nur Dank seiner musikalischen Fähigkeiten das
Grauen des Holocaust überleben.
Ihn und sein
Schicksal ließ im Anschluss an die Feier der Speyerer
Musikerzieher Franz-Georg Rössler. (Vortrag und am
Klavier) gemeinsam mit seiner Ehefrau Rita
(Altblockflöte) in einem zutiefst berührenden Vortrag lebendig
werden, gepaart mit eindrucksvollen Beispielen von Alfred Cahns
kompositorischem Schaffen.
Der heute 91jährig in seiner zweiten Heimat Milwaukee/USA
lebende Alfred Cahn wurde in eine hochangesehene Speyerer Familie
hineingeboren. Sein Vater, so berichtete Rössler, habe viele Jahre
in der bürgerlichen „Speyerer Liedertafel“ gesungen und in dessen
Abwesenheit sogar den Dirigenten vertreten. Vom Vater mag der
kleine Alfred auch seine Begabung und seine lebenslange Liebe zur
Musik „geerbt“ haben, auch wenn er selbst erst relativ spät zu
„seinem“ Instrument, dem Klavier, gefunden habe. Denn erst, als der
Vater nach dem Tod von Alfred's Mutter – sie starb, als der Junge
acht Jahre alt war, mit nur 38 Jahren im Speyerer Katholischen St.
Vincentius-Krankenhaus - wieder heiratete, kam mit der Stiefmutter
auch ein Klavier in das, nach Alfreds eigenen Worten, „schmalste
Haus Europas“. Dort entdeckte Alfred im Alter von zehn Jahren seine
Leidenschaft für das Klavierspiel, bekam Unterricht bei einer
bekannten Speyerer Klavierlehrerin, die ihm aber schon bald
mitteilen musste, dass es für sie beide besser wäre, wenn er nicht
mehr „bei Tageslicht“ zu ihr zum Unterricht käme. Alfred Cahn
musste die zunehmende Abneigung seiner Mitmenschen in der Stadt im
Alltag immer stärker verspüren.
1937 begann er
in der Speyerer Synagoge, die an der Stelle des heutigen
„Kaufhofes“ stand, im Gottesdienst die Orgel zu spielen. Schon ein
Jahr später, am 9. November 1938, brannte allerdings auch das
Speyerer Jüdische Gotteshaus nieder. Alle Angehörigen der jüdischen
Gemeinde zu Speyer wurden in das erste Konzentrationslager der
Nazis, nach Dachau bei München, abgeführt. Auf dem Weg dorthin
gelang Alfred jedoch die Flucht. Gemeinsam mit einem Onkel schlug
er sich auf einem Rheinkahn nach Rotterdam durch, von wo er weiter
nach Belgien flüchtete.
Dort, in Brüssel, traf Cahn per Zufall auf den bekannten
jüdischen Pianisten Stefan Ashkenazy, der das große Talent des
jungen Alfred erkannte und ihm, so Rössler, „die höheren Weihen“
erteilte. Dann aber ereilte ihn in Brüssel sein Schicksal: Die
Nazi-Häscher griffen ihn in Brüssel auf und schafften ihn dorthin,
wo sie zuvor schon seine Speyerer jüdischen Mitbürger hin
verschleppt hatten – nach Gurs.
In der Trostlosigkeit dieses Lagers, bei Regen, Kälte und
Schnee, versuchte Cahn, in seinen Schicksalsgenossen durch seine
Musik neuen Lebensmut zu wecken und ihnen ihr schweres Los
zumindest ein wenig leichter zu machen. Von Gurs aus wurde der
junge Speyerer als Zwangsarbeiter beim Bau von U-Boot-Bunkern in
der Nähe von Brest eingesetzt. Der CVJM inspizierte damals immer
wieder einmal die Arbeitslager und verhalf schließlich so auch
Alfred Cahn zur Flucht in die Schweiz.
Dort, in Genf, begann er sein Musikstudium, lernte seine Frau
kennen und wanderte schließlich gemeinsam mit ihr in die USA aus,
wo er in Milwaukee eine bürgerliche Existenz als Musiklehrer
aufbaute.
Seine Heimatstadt Speyer hat Cahn in all den Jahren stets im
Herzen getragen. Im Jahr 1971 reiste er – damals noch inkognito -
in die Pfalz, wollte seiner Frau seine Geburtsstadt zeigen und das
bis heute auf dem Speyerer Friedhof erhaltende Grab seiner
Vorfahren besuchen.
Im Rahmen
ihrer Recherche-Arbeiten habe Ria Krampitz vom
Seniorenbüro Speyer dann Kontakt zu Alfred Cahn aufgenommen, was in
der Folge zu insgesamt vier Reisen des Musikers nach Speyer geführt
habe. Besucher, die immer wieder einmal bei Alfred Cahn in
Milwaukee Station machen, erleben den Musiker bis heute als überaus
interessiert an allem, was mit Speyer zu tun hat. „Er spricht immer
wieder davon, dass er den Deutschen nicht nachträgt, was
ideologisch Verblendete in ihrem Namen angerichtet haben“,
berichtet Rössler, der bis heute engen Kontakt mit dem Speyerer
Juden hält, den wohl nur seine Musik vor dem Tod in der Gaskammer
bewahrt hat.
Und welch großartigses Potential in den Kompositionen von Alfred
Cahn steckt, konnten die Zuhörer dieses Vortrages an einigen von
dem Ehepaaar Rössler eindrucksvoll dargebotenen Beispielen
erfahren: Von seinem „Opus 1“, das er sich als Zehnjähriger für
„sein“ geliebtes Klavier ausgedacht hatte bis hin zu seinem „Lied
von den kleinen Bäumchen“, mit dem er „gegen den Untergang
„anmusizieren“ wollte – Cahns Musik birgt vieles von dem, was
Musikkenner mit dem späten Mendelssohn oder dem ganz jungen Arnold
Schönberg verbinden – also höchst qualitätvolle Musik, die jetzt
auch als CD, eingespielt von den Ausnahmetalenten
Emma und Ina
Rasmussen vorliegen. Der
SPEYER-KURIER berichtete davon in seiner Ausgabe vom 07. August 2013. Foto:
gc
02.11.2013
Gemeinsames Gedenken zum 75. Jahrestag der Reichspogromnacht
Kirchenpräsident Christian Schad (rechts) überreicht dem Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Daniel Nemirowsky, ein Bild aus der Reihe „Heimat | Kirche | Pfalz“ mit dem Motiv der neuen Speyerer Synagoge.
Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde trifft
Kirchenpräsident im Landeskirchenrat
Speyer- Einen gemeinsamen Gedenktag
anlässlich des 75. Jahrestages der Reichspogromnacht am 9. November
schlagen die Evangelische Kirche der Pfalz und die Jüdische
Kultusgemeinde der Rheinpfalz vor. Darauf verabredeten sich
Kirchenpräsident Christian Schad und Daniel Nemirowsky, seit 2010
der Geschäftsführer der Kultusgemeinde, bei einer Begegnung im
Landeskirchenrat. Der Gedenktag könnte von der evangelischen und
der katholischen Kirche gemeinsam mit der Stadt Speyer und der
Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz begangen werden. Er sei
zuversichtlich, dass sich dieser „gute Vorschlag“ des
Kirchenpräsidenten umsetzen lasse, so Nemirowsky.
Schad erinnerte an die Verfassung der pfälzischen Landeskirche,
deren erster Paragraph sie seit 1995 dazu verpflichte, „Versöhnung
mit dem jüdischen Volk zu suchen und jeder Form von
Judenfeindschaft entgegen zu treten“. Einerseits begreife sich das
Christentum nur aus seinen jüdischen Wurzeln heraus, andererseits
sei das deutsche Volk dasjenige, das Juden das Schlimmste, den
Völkermord, angetan habe. Er sei dankbar dafür, dass inzwischen
eine Dialogkultur gewachsen sei, vor allem durch den Arbeitskreis
Kirche und Judentum. Die Gedenkveranstaltung zum 9. November solle
„ein Zeichen der Umkehr und Buße sein, aber auch den festen
gemeinsamen Willen ausdrücken, dass es auf deutschem Boden nie
wieder zu Pogromen kommen möge“, sagte Schad.
Kirchenpräsident Schad überreichte Daniel Nemirowsky zur
Begrüßung das gerahmte Bild aus der aktuellen „Heimat | Kirche |
Pfalz“-Motivreihe zum Jahr der Toleranz, das die neue Speyerer
Synagoge zeigt. Im Gegenzug hatte Nemirowsky eine Flasche koscheren
Weins und eine Münze mitgebracht, die zur Einweihung der Neuen
Synagoge 2011 geprägt worden war. lk
14.05.2013
„Damit sie nicht vergessen werden“
Wormser
Geschwister Schlösser präsentieren Erinnerungs-Projekt an ermordete
und vertriebene Wormser Juden
Von Gerhard Cantzler
Die Ankündigung für den jüngsten Mittwochs-Vortrag im Speyerer
Stadtarchiv las sich zunächst einmal doch recht technokratisch:
„Vom Bürgerarbeitskreis bis zum Internet – Die lange Geschichte des
Forschungsobjekts 'Die Wormser Juden von 1933 bis 1945'“ - so
lautete der Titel dieses in der spannenden Form eines
Zweier-Referates angelegten Abends, zu dem der Leiter des
Speyerer Stadtarchivs, Dr. Joachim Kemper, das aus Worms
stammende Geschwisterpaar Dr. Susanne und Dr. Hermann
Schlösser in dem einmal mehr bis auf den letzten Platz
besetzten Lesesaal des Archivs begrüßen konnte. Doch wer sich von
den beiden Historikern – Dr. Susanne Schlösser leitet das
Historische Archiv des Stadtarchivs in Mannheim, ihr Bruder, Dr.
Hermann Schlösser, ist seit vielen Jahren Redakteur bei der
Tageszeitung „Wiener Zeitung“, zugleich Amtsblatt für die
österreichische Bundeshauptstadt – lediglich methodische Ansätze
über die Erstellung eines Personenregisters und seine Umsetzung von
der „Papierform“ auf ein zeitgemässes Internetportal erwartet
hatte, der musste sich rasch und eindrucksvoll eines besseren
belehren lassen:
Denn die
Sachverhalte und Lebensgeschichten, die die beiden Referenten als
Ergebnisse ihrer Lebensarbeit vortrugen und die das Schicksal der
Wormser Juden im Dritten Reich reflektieren, erwiesen sich rasch
als zutiefst emotional und bewegend und ließen manch einem Zuhörer
das Blut in den Adern gefrieren. Schon in der gedruckten Fassung
ihres Werkes, das im Jahr 1986 unter dem beziehungsreichen Titel
„Keiner blieb verschont“ in der Schriftenreihe des Wormser
Stadtarchivs erschien, hatten die Autoren 1144 Lebensschicksale
ehemals Wormser Juden zusammengetragen, die 1933 noch in der Stadt
lebten. Schon 1939 betrug ihre Zahl nur noch 317 – viele waren
inzwischen emigriert, andere ins vermeintlich sicherere Mannheim
verzogen, von wo aus sie dann aber auch ins südfranzösische Gurs
deportiert und schließlich im Konzentrationslager Auschwitz
ermordert wurden – 1945, am Ende des Krieges, war keiner übrig
geblieben – denn „keiner blieb verschont“.
Da war die Geschichte der Lehrerin Herta Mannsbacher, die – als
Jüdin mit Berufsverbot belegt – die Liste der Emigranten führte,
weil sich ihre Schülerinnen und Schüler vor ihrer Abreise einzeln
bei ihrer Lehrerin verabschiedeten.
Da ist die Geschichte jener jüdischen Klavierlehrerin, bei der
ganze Generationen Wormser Kinder ihre ersten Schritte zu einer
„Pianisten-Karriere“ gingen und mit der sich musikbegisterte
Wormser Bürger regelmäßig zu Hausmusikabenden trafen – bis 1933: Da
gab man ihr zu verstehen, dass sie bei solchen Treffen nicht mehr
erwünscht sei. „Das war schon bald nach der 'Machtergreifung'“,
berichtete Dr. Susanne Schlösser, „zu einer Zeit also, wo man sich
ohne Risiko auch hätte anders verhalten können“.
Nach dem Krieg, so erinnerten sich die Referenten, sei der erste
frei gewählte Oberbürgermeister der Stadt Worms, Heinrich
Völker, nach Israel gereist und habe versucht, dort Kontakte
mit früheren Wormser Juden zu knüpfen. Ihr Vater, Dr. Karl
Schlösser, habe als erster und langjähriger Leiter der Wormser
Volkshochschule die so entstandenen Verbindungen aufgenommen
und mit großem persönlichen Einsatz vertieft.
Überhaupt: Die Eltern
Schlösser. Mit großem Freimut berichtete Dr. Hermann über die
Mutter, die - aus einer zutiefst nationalsozialistisch geprägten
Oppenheimer Familie stammend - die auf Versöhnung mit den Juden
ausgerichteten Aktivitäten ihrer Kinder nach dem Kriege noch lange
als „Verrat an der deutschen Sache“ ablehnte, sich dann aber später
zu einer glühenden Verfechterin dieses Versöhnungswerkes wandelte.
„Noch am Tag vor ihrem Tode telefonierte sie mit ehemaligen Wormser
jüdischen Mitbürgern in Kalifornien und in Schweden“, erinnerte
sich Dr. Hermann Schlösser – sie habe die Verbindungen geknüpft und
mit Akuratesse die Namenslisten der aus Worms emigrierten, aber
auch der von den Nazis umgebrachten Juden aus der Domstadt, geführt
und sich bis an ihr Lebensende um die Pflege und den Fortbestand
der so entstandenen Kontakte bemüht.
Der Vater Dr. Karl Schlösser, so berichtete seine Tochter, habe
1939 nahtlos vom Wehrdienst in den Kriegsdienst überwechseln müssen
und 1942, drei Tage vor seinem 25. Geburtstag, als Folge einer
Kriegsverletzung sein Augenlicht verloren. Nach einer Ausbildung
zum Dolmetscher an einer Fachschule in Graz habe er 1945 in Worms
das Abitur nachgeholt und danach Geschichte, Slawistik und
Romanistik studiert. Mit dieser Fächerkombination habe er seine
Leidenschaft für die französische und die russische Sprache, vor
allem aber für die Aussöhnung mit den ehemaligen Kriegsgegnern,
aufnehmen und die so erworbenen Fertigkeiten für den Aufbau
freundschaftlicher Beziehungen mit Franzosen und bereits 1966 auch
mit Menschen in Rußland einsetzen können. „Wir hofften, dort
Entlastendes zu finden, aber es kam noch viel, viel Schlimmeres zu
Tage als wir befürchtet hatten“, schrieb Dr. Karl Schlösser damals
über seine Studien in den Archiven in Israel.
In
einem so geprägten Milieu seien auch die beiden Kinder aufgewachsen
– hätten im Alltag miterlebt, mit welchen Vorbehalten, ja zum Teil
sogar scharfer Ablehung, Juden, die aus ihrer Heimatstadt Worms
vertrieben worden waren, den Wormsern nach dem Kriege begegneten –
und wie sich diese Einstellung in Freundschaft wandelte. Rührend
das Erlebnis der jungen Susanne, die bei einer Reise nach Isreal in
der Jugendherberge, wo sie mit ihrer Jugendgruppe untergebracht
war, von einem Telefonanruf erreicht wurde, wo sie jemand in der
nur hebräisch oder allenfalls englisch sprechenden Umgebung im
Wormser Dialekt ansprach. Bewegend die Geschichte von Annelies
Löwenstein, in den USA verheiratete Anne Marx, aufgewachsen bei
ihren Großeltern in Worms, wo sie sich zur Physiotherapeutin
ausbilden ließ, weil ihr das ersehnte Studium der Medizin als Jüdin
verwehrt wurde. Sie habe Trost über ihr schweres Lebensschicksal in
Lyrik gefunden und sich nach ihrer Emigration in die USA die für
sie fremde englische Sprache über die Lyrik erschlossen. Mit einem
der Gedichte von Anne Marx, die erst 2004 in den USA verstarb, gab
Dr. Susanne Schlösser einen kleinen Eindruck von dem großen
literarischen Potential dieser Frau.
Solche Erfahrungen seien es gewesen, die Dr. Karl Schlösser und
seine ganze Familie dazu angetrieben hätten, die Geschichte der
Wormser Juden im Dritten Reich aufzuschreiben und sie als Buch zu
veröffentlichen. Inzwischen sei dieses Werk auch als DVD und seit
kurzem auch als vielseitig nutzbares Internetportal verfügbar.
Eine Aufgabe, die auch in Speyer noch auf der Agenda des
Stadtarchivs steht. Wie dessen Leiter, Dr. Joachim Kemper,
mitteilte, habe Katrin Hopstock in den letzten Jahren
bereits ein inzwischen schon weit fortgeschrittenes Verzeichnis der
ehemaligen jüdischen Mitbürger zusammengetragen. Dieses in eine
zeitgemäße, elektronische Form zu bringen, sei eine
Herausforderung, der sich das Archiv in der nächsten Zeit annhemen
wolle. Wie so etwas aussehen könnte, davon kann man sich unter
www.wormserjuden.de einen
eindrucksvollen Überblick verschaffen. Foto: gc
21.03.2013
Humanist, Idealist und Retter von über 100.000 Juden – Eindrucksvolle Ausstellung zum Gedenken an Raoul Wallenberg
igk./cr.
Nürnberg. Mit einer eindrucksvollen Ausstellung gedenken
derzeit die Generalkonsulate von Israel und Ungarn gemeinsam mit
der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung und dem
Nürnberger „Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ des 100.
Geburtstages des schwedischen Diplomaten Raoul
Wallenberg, der in der Zeit des Zweiten Weltkrieges in
Ungarn mehr als 100.000 Juden das Leben gerettet hat.
Nach dem Krieg von Agenten des russischen Geheimdienstes NKWD in
die Sowjetunion verschleppt, verliert sich die Spur des mutmaßlich
gewaltsam zu Tode gebrachten Schweden in den Geheimkerkern der
Sowjets.
Aus Anlass der Eröffnung dieser Ausstellung fand jetzt in dem
Nürnberger Dokumentationszentrum ein Workshop statt, in dem
ungarische, israelische und deutsche Schüler gemeinsam Fragen über
Antisemitismus, Zivilcourage, Ausgrenzung von Minderheiten und das
Schweigen der Mehrheit in unterschiedlichen Formen bearbeiteten.
Informationen zu Raoul Wallenberg vermittelten ihnen die Historiker
Tibor Pécsi und Dr. Gideon
Greif.
In einem bewegenden Statement zu diesem Anlass berichtete der in
München akkreditierte israelische Generalkonsul Tibor
Shalev Schlosser über seine diplomatische Tätigkeit in
Italien, zu der auch die Ehrung von Menschen als „Gerechte der
Völker“ gehört habe - Menschen, die wie Raoul Wallenberg Juden vor
Verfolgung und Tod gerettet hätten. „Auf die Frage, warum sie
damals jüdische Menschen vor der Verfolgung der Nazis gerettet
haben, hörte ich immer wieder: 'Wie konnte ich etwas anderes tun?'“
Eine immer wieder aufs neue bewegende Antwort, so der
Generalkonsul, die aber auch immer wieder die Frage aufwerfe, warum
andere Menschen nicht geholfen hätten.
Zutiefst berührend auch die Würdigung des trinationalen Projekts
durch den 1941 in Belgien geborenen, ehemaligen israelischen
Staatsminister Yossi Peled: Seine Eltern
versteckten den damals sechs Monate alten Säugling bei einer
christlichen Familie, die ihn aufnahm und großzog. Seine Eltern und
Angehörigen wurden in Auschwitz ermordet. Erst im Alter von acht
Jahren erfuhr er, dass er eigentlich Jude ist. Obwohl diese
Information für ihn ein Schock gewesen sei, würdigte er das
Verhalten seiner Pflegeeltern: „Sie brachten ihr Leben in Gefahr,
um, mich zu retten – genauso wie Raoul Wallenberg“. Yossi Peled
berichtete auch von seinen drei offiziellen Besuchen in seiner
Funktion als Staatsminister in Deutschland, wo er zuletzt auch mit
Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammengetroffen sei. Dabei sei er
beeindruckt gewesen von Deutschlands Sensibilität gegenüber Israel
– nicht nur bei der Bundeskanzlerin. Dennoch könne er unmöglich in
Deutschland sein, ohne zu sagen: „Ich kann nicht vergessen“. Es
gebe aber auch eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.
„Dieses Land mit seiner schrecklichen Vergangenheit ist heute einer
der größten Unterstützer des Staates Israel“. Das sei für manche
nur schwer zu verstehen – sei aber die Wahrheit. Im Namen Israels
und der jüdischen Nation danke er deshalb Deutschland, aber auch
den Organisatoren dieses trinationalen Projektes für ihr Eintreten
gegen das Vergessen.
Der ungarische Generalkonsul Tamás Mydlo lobte
die große Kreativität der Jugendlichen aus den drei Ländern, die
damit einen Beitrag geleistet hätten, das Andenken an Raoul
Wallenberg wachzuhalten, indem sie „Opfern helfen, die sich nicht
selbst wehren können“. Weil es wichtig sei, aus der Geschichte zu
lernen, habe Ungarn das „Wallenberg-Jahr“ initiiert. Der
überwiegende Teil der ungarischen Gesellschaft distanziere sich
heute klar von dem neu aufflammenden Antisemitismus in seinem
Heimatland, erklärte der Diplomat zum Abschluss dieses Abends, der
von dem 24jährigen ungarischen Violinisten Raimund
Ónodi mit dem Leitmotiv aus dem Film „Schindlers Liste“
von John Williams und mit zwei Capriccios von Niccolò Paganini
umrahmte.
Die Ausstellung im Dokumentationszentrum
Reichsparteitagsgelände ist noch bis zum 16. Dezember
geöffnet. Sie dokumentiert die Lebensgeschichte des
„Gerechten der Völker“ Raoul Wallenberg.
Raoul
Wallenberg – Lebensschicksal eines tapferen Mannes
Existentiell erschüttert durch die vom Eichmann-Kommando und
ungarischer Hilfspolizei organisierte Ghettoisierung von über
400.000 Juden in der Zeit von Mai bis Juli 1944, entschloss sich
der aus einer einflussreichen, wohlhabenden schwedischen Familie
stammende Diplomat zum Handeln: Am 9. Juli 1944 trat er –
unterstützt vom „US-War Refugee Board“ als erster Sekretär seinen
Dienst in der schwedischen Gesandtschaft in Budapest an, um mit
Unterstützung der schwedischen Regierung Maßnahmen zur Rettung
Budapester Juden einzuleiten.
Wallenberg gab dazu sogenannte Schutzpässe aus, die ihre Inhaber
als schwedische Staatsbürger legitimierten, die ihre Repatrierung
erwarteten. Ähnliche Dokumente wurden damals auch von der Schweiz
und dem Vatikan ausgestellt. Obwohl diese Papiere keinerlei
völkerrechtlich verbindliche Bedeutung hatten, wurden sie dennoch
von den ungarischen und den deutschen Behörden anerkannt. Gemeinsam
mit dem Schweizer Gesandten Carl Lutz organisierte Wallenberg die
sichere Unterbringung seiner Schützlinge in über 30 sogenannten
Schutzhäusern, die er mit schwedischen Flaggen kennzeichnete.
Gut 30.000 Menschen befanden sich damals in diesen
Schutzhäusern, in denen sie versorgt und in denen Wallenberg mit
amerikanischer Unterstützung sogar Krankenstationen eingerichtet
hatte.
Als Leiter des nach ihm benannten „Sonderkommandos“ tobte Adolf
Eichmann und drohte Wallenberg gar, den „Judenhund Wallenberg“ zu
erschießen zu lassen. Dies führte zu einem offiziellen Protest
Schwedens, der wiederum bei dem ungarischen Staatsoberhaupt Miklós
Horthy die zeitweilige Unterbrechung der Deportationen bewirkte,
bis im Oktober 1944 ein von den Deutschen unterstützter Putsch der
Pfeilkreuzler Horthy nach dessen Ankündigung eines Waffenstillstands
und Ungarns
Neutralität gegenüber der Sowjetunion durch
Ferenc Szálasi ersetzte. Als Eichmann im November 1944 wegen
mangelnder Transportkapazitäten eine große Zahl von Juden auf
Todesmärschen zu Fuß
und ohne Essen, zerlumpt und fast barfuß zur österreichischen
Grenze treiben ließ, verteilte Wallenberg u. a. Essen und fragte
nach Inhabern schwedischer Schutzpässe.
Durch sein
entschlossenes Auftreten und durch ein Abhaken auf imaginären
Listen erweckte er gezielt den Eindruck, diese Menschen besäßen
schwedische Schutzpässe, die ihnen daraufhin erst handschriftlich
ohne Stempel, Bild oder Autorisierung ausgestellt wurden. In den
letzten Wochen bis zur Eroberung
Budapests durch die Rote Armee Mitte Januar 1945 ermordeten
Angehörige der Pfeilkreuzler völlig willkürlich noch zwischen
10.000 und 20.000 Ghettobewohner. Wallenberg gelang es aber auch
dort, durch sein entschiedenes Auftreten, Menschen vor dem sicheren
Tod zu retten, indem er behauptete, sie seien Inhaber schwedischer
Schutzpässe. Er hatte sich dazu auch der Unterstützung durch die
ungarische Polizei versichert, die gegen das willkürliche Auftreten
der Pfeilkreuzler eintrat. Etwa 70.000 Juden überlebten dadurch im
Budapester Ghetto. Kurz vor der Befreiung des Allgemeinen Ghettos
soll dessen Vernichtung geplant gewesen sein, die schließlich noch
verhindert wurde, da Wallenberg dem deutschen Wehrmachtsgeneral
Schmidhuber gedroht habe, ihn andernfalls als Kriegsverbrecher zur
Rechenschaft ziehen zu lassen. Von den etwa 800.000 Juden, die im
Zweiten Weltkrieg auf dem Gebiet Ungarns lebten, hatten bei
Einmarsch der Roten Armee etwa 204.000 überlebt.
Auch nach der Eroberung von Budapest durch die Rote Armee wollte
sich Wallenberg weiterhin für seine Schützlinge einsetzen. Deshalb
wollte er den sowjetischen Kommandanten treffen. Auf dem Weg nach
Debrecen wurde Wallenberg jedoch nach Moskau verschleppt. Ein Spion
des NKWD in der schwedischen Gesandtschaft in Budapest hatte den
Eindruck erweckt, Wallenberg arbeite als amerikanischer Spion. Nach
stalinistischer Lesart aber wurde bereits jeder, der zufällig
Kontakt zu einem Spion haben konnte, selbst als Spion angesehen.
Dies traf naturgemäß auch auf fen Diplomaten zu, zumal Wallenberg
an die amerikanischen Geldgeber seiner Rettungsaktion Berichte
übermittelte.
Erst 1993 wurde der Haftbefehl gegen Wallenberg bekannt. Kein
geringerer als der Vize-Verteidigungsminister Bulganin hatte am 17.
Januar 1945 angeordnet, dass Wallenberg nach Moskau zu bringen
wäre. Zusammen mit seinem Chauffeur Langfelder wurde Wallenberg in
das NKWD-Gefängnis Lubjanka gebracht. Nach Aussagen von
Mitgefangenen verdächtigte man ihn der Spionage. Seine Herkunft aus
einer schwedischen Familie machte ihn Stalin und dem NKWD
zusätzlich verdächtig. Später wurde er zwei Jahre im
Lefortowo-Gefämgnis in Moskau gefangengehalten. Bis Anfang 1947 ist
sogar bekannt, in welchen Zellen und Gefängnissen er sich befand -
wann und von wem er verhört wurde. Über die Zeit danach herrscht
bis heute Unklarheit.
Lange Zeit leugnete die Sowjetunion, dass Wallenberg sich
überhaupt in der Sowjetunion befunden hatte. Am 6. Februar 1957
behauptete Moskau aber unter internationalem Druck, Raoul
Wallenberg sei am 17. Juli 1947 in seiner Zelle in der Lubjanka tot
aufgefunden worden und vermutlich einem Herzinfarkt erlegen.
Stichhaltige Beweise dafür konnten nie vorgelegt werden.
Die schwedische
Ärztin Prof. Svartz erfuhr anlässlich eines Medizinerkongresses im
Januar 1961 von einem sowjetischen Kollegen, Wallenberg befinde
sich noch immer in einer Nervenheilanstalt. Im Jahre 1965 versuchte
Carl Gustav Svingel, Unterhändler der SPD für den
„Agentenaustausch“, über den sowjetischen Unterhändler Abrassimow,
der um die Freilassung eines in Schweden inhaftierten sowjetischen
Spions bemüht war, seinen Freund Raoul Wallenberg freizubekommen.
Auch ihm wurde von sowjetischer Seite bestätigt, dass Raoul
Wallenberg noch am Leben sei.
Die Spur dieses tapferen und aufrechten Humanisten, der so
vielen Juden das Leben gerettet hat, verliert sich also am Ende in
den Kerkern der Sowjetunion. Dass ihm zu einem 100. Geburtstag nun
auch in Nürnberg gedacht wurde, wird vielleicht dazu beitragen, die
Erinnerung an ihn als einen „Gerechten der Völker“ auch über sein
mysteriöses Verschwinden hinaus in der Zukunft lebendig zu halten.
Fotos: aus Wikipedia
Lesen Sie ein ausführliches Interview des Israelischen
Generalkonsuls in der bayerischen Zeitschrift für Politik und
Geschichte.
13.12.2012
Mit Segenssprüchen und beeindruckendem Singspiel Chanukkah-Fest eröffnet
Oberbürgermeister
Eger und Gemeindevorstand Epstein entzünden gemeinsam „Schamasch“
für Chanukkah-Leuchter
Von Gerhard Cantzler
Es war am Sonntag Abend nun schon zum zweiten Mal seit der
Eröffnung der neuen Synagoge „Beith Schalom“ in Speyer, dass die
„Jüdische Kultusgemeinde der Rheinpfalz“ im Versammlungsraum ihres
Gotteshauses die erste Kerze an dem achtarmigen
Chanukkah-Leuchter entzünden konnte, der in den nächsten
sechs Tagen zu vollem Glanz erstrahlen wird. Die große Ehre, den
„Schamasch“, die „Dienerkerze“ zu entzünden, mit der jetzt Tag für
Tag Kerze um Kerze angesteckt wird, wurde an diesem Abend
Oberbürgermeister Hansjörg Eger gemeinsam mit dem
Gemeindevorsitzenden Israil Epstein zuteil; die ersten
beiden Kerzen auf dem Leuchter – es war an diesem Sonntag immerhin
schon der zweite Tag des jüdischen Lichterfestes – entzündete dann
unter Gebeten und Segenssprüche Rabbiner Seew-Wolf Rubins.
In jedem Jahr ist dieser Tag für alle Juden in der Welt ein
freudiges, aber auch immer wieder bewegendes Ereignis, zu dem sich
wieder zahlreiche Gäste in der Synagoge eingefunden hatten.
Daniel
Nemirowsky, Geschäftsführer der Kultusgemeinde, hatte sie alle
schon zu Beginn des Abends in dem dicht besetzten Versammlungssaal
zur Eröffnung des diesjährigen Chanukkah-Festes begrüßt, unter
ihnen „den Freund und Förderer der Speyerer Synagoge“, den früheren
Oberbürgermeister Werner Schineller, die
Landtagsabgeordneten Friederike Ebli (SPD) und Dr. Axel
Wilke (CDU) sowie den Speyerer Beigeordneten Dr. Wolf Böhm
(FDP).
Auch zahlreiche Vertreter der benachbarten und befreundeten
kirchlichen Gemeinschaften waren der Einladung gerne gefolgt, an
ihrer Spitze der Speyerer Weihbischof Otto Georgens und
Pfarrer Hubert Ehrmanntraut und für die türkisch-islamische
Gemeinde eine kleine Delegation mit dem Vorsitzenden Selahattin
Yildirim an der Spitze. Schließlich sah man auch Vertreter der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft sowie den Vorsitzenden des
Freundeskreises Speyer-Yavne, Andreas Niggemann unter den
Besuchern.
Zu Beginn schon hatte Israil Epstein das Chanukkah-Fest als
Symbol für den Sieg der Juden im Kampf für ihre religiöse Freiheit
und Unabhängigkeit bezeichnet. Oberbürgermeister Eger zog in seinen
Glückwünschen, die er namens der Stadt und ihren Bürgerinnen und
Bürgern an die Jüdische Gemeinde überbrachte, die Parallele des
Chanukkah-Festes zu Weihnachten. So wie Christen in diesen Wochen
die Kerzen am Adventskranz entzündeten, um schließlich an
Weihnachten ihre Häuser im vollen Glanz des Christbaumes erstrahlen
zu lassen, so würden die Juden ihre Gotteshäuser und Wohnungen mit
dem Licht der Chanukkah-Leuchter erhellen. „Uns alle eint in dieser
Zeit die Freude darüber, dass es in unserer Welt immer wieder
Wunder gibt“, schloss Eger seine Grußadresse.
Daniel
Nemirowsky konnte sodann nach der Zeremonie der Entzündung der
ersten Kerze am Chanukkah-Leuchter den Chor der Kultusgemeinde der
Rheinpfalz ankündigen, der zu diesem Fest ein szenisch
unterstütztes Singspiel über die dem Chanukka-Fest zugrunde
liegende Überlieferung mitgebracht hatte (siehe dazu den Beitrag
„Chanukkah – das jüdische Lichterfest“ im SPEYER-KURIER vom
9.12.2012). Ausdrucksstark und mit zum Teil prachtvollen Stimmen
ausgestattet sangen die Chormitglieder in hebräischer, jiddischer
und immer wieder in russischer Sprache – der größere Teil der
Gemeindemitglieder stammt immerhin aus den Ländern der ehemaligen
Sowjetunion – die auch bei den Gemeindemitgliedern spürbar
vertrauten Lieder. Spätestens bei dem von Georg Friedrich Händel
vertonten Hymnus „Tochter Zion, freue Dich“ aus dem Oratorium
„Judas Makkabäus“ - dem Anführer der Juden in dem im Singspiel
beschriebenen Kampf gegen die Selekuiden g konnten dann alle
Anwesenden – jeder freudig und in seiner Sprache einstimmen.
Bevor sich
dann die Teilnehmer der Chanukkah-Feier dem mit traditionellen
Speisen reich ausgestatteten Festmahl zuwenden konnten, sollte
dieser Chanukkah-Tag aber auch noch einer weiteren Tradition
gerecht werden: „Chanukkah ist der schönste Tag für die Kinder...“
schreibt ein jüdisches Sprichwort vor. Die Kinder wurden deshalb
nach vorne auf die Bühne gerufen, wo sie aus der Hand von Israil
Epstein mit Geldgeschenken bedacht wurden – noch eine Parallele zum
christlichen Weihnachtsfest und zum muslimischen Opferfest. Zuvor
schon hatten zwei aus dem Kreis der Kinder und Jugendlichen mit
Soloeinladen für Klavier und Gitarre das Publikum erfreut.
„Gelb und rot müssen die Speisen an diesem Tag sein“, erläuterte
Daniel Nemirowsky die Speisevorschriften für das Chanukkah-Fest.
Damit werde symbolisiert, dass in der Zeit der Entstehung des
Festes Speisen nur in Öl gebraten essbar waren, um den strengen
religiösen Vorschriften gerecht zu werden.
Den Gästen aber mundeten Lachs und Eier, Hering und Sprotten -
auch wenn die, anders wie zum Beispiel die frittierten Teigtaschen
oder die Krapfen, nicht in Öl ausgebacken waren – denn gelb und rot
waren sie auf jeden Fall. Foto: gc
10.12.2012
Erinnerung und ausgelassenes Feiern: Chanukkah - das jüdische Lichterfest
von Gerhard Cantzler
Heute abend ist es wieder soweit: In allen
jüdischen Haushalten wird bei Sonnenuntergang die erste Kerze am
Chanukkah-Leuchter entzündet und damit dieses traditionelle, acht
Tage dauernde Lichterfest der Juden, eröffnet. Abend für Abend wird
dann unter traditionellen Segenssprüchen eine weitere Kerze
angesteckt, bis der Leuchter in voller Pracht erstrahlt.
Der achtarmige Chanukka-Leuchter darf nur einmal im
Jahr - zu diesem Fest - entzündet werden. Traditionell ist in der
Mitte des Leuchters auch noch eine neunte Kerze, der Schamasch -
das bedeutet “der Diener” - aufgesteckt, mit dem die anderen Kerzen
des Leuchters angezündet werden.
Mit dem Chanukkah-Fest erinnern die Juden an die
Wiedereinweihung des Tempels von Jerusalem nach dem sogenannten
Makkabäeraufstand im Jahr 165 v. Chr., durch den die
Schreckensherrschaft der griechischen Syrerdynastie der Seleukiden
über die Juden beendet wurde. Nachdem dann der Tempel von den
griechischen Götzenbildern befreit und gereinigt worden war, musste
er nach jüdischem Ritus wieder neu konsekriert werden.
Chanukkah bedeutet deshalb soviel wie
“Neueinweihung” und erinnert an das folgende Ereignis: Damals war
im Tempel nur noch eine winzige Menge geweihtes Öl übrig, das
gerade gereicht hätte, den Tempel einen Tag lang zu erhellen. Das
Herstellen von neuem Öl hätte jedoch mehrere Tage in Anspruch
genommen - das ewige Licht im Tempel drohte also zu erlöschen. Da
ereignete sich das Wunder: Das Licht brannte zur allgemeinen
Verwunderung weiter - acht Tage lang....
Auch wenn Chanukkah im jüdischen Verständnis nur
ein “Halbfeiertag” ist, weil er nicht auf biblische Gebote
zurückgeht, sondern nur auf ein historisches Ereignis, so wird er
doch in den Familien und Gemeinden ausgelassen gefeiert. Für die
Kinder gibt es Geschenke und der Tisch ist an diesen Tagen mit
traditionellen Speisen reich gedeckt.
Chanukkah wird stets am Vorabend des 25. des Monats
Kislew - in diesem Jahr am 9. Dezember - gefeiert - im 5773. Jahr
jüdischer Zeitrechnung.
Der SPEYER-KURIER ruft deshalb heute - am
Vorabend 25. Kislew 5773 - allen Mitbürgern jüdischen Glaubens für
die nächsten acht Tage zu: “Hag Hanukkah sameah”, ein
“Schönes Chanukkah-Fest”.
09.12.2012
Durch bewegende Synagogalmusik den Weg in gemeinsame Zukunft suchen
Wiener
Oberkantor Shmuel Barzilai begeistert mit bewegenden
Gesängen
Von Gerhard Cantzler
Er ist sicher einer herausragenden Vertreter seines Fachs: Der
Wiener Jüdische Oberkantor Shmuel Barzilai, der mit seiner
ganz außergewöhnlichen, substanzreichen Tenorstimme am Sonntag
abend sein Publikum in dem dicht besetzten Versammlungssaal der
neuen Speyerer Synagoge „Beith Shalom“ ein ums andere Mal zu wahren
Beifallsstürmen hinriss und sie mit anderen Liedern zu Tränen
rührte. Und damit ist sicher schon in wenigen Worten umschrieben,
was Synagogalmusik ausmacht: Immer wieder aufs neue den Spagat zu
bewältigen zwischen überbordender Begeisterung und eruptiver
Freude, ohne dabei die melancholisch-traurigen Untertöne zu
vergessen – Musik von tiefer und erschütternder Schwermut
aufzuladen mit aufblitzendem, melodischem Witz.
Wie ein
geistreicher jiddischer Witz, der sich meist in einem
kontrastierenden Beziehungspaar aus Personen oder Begriffen
manifestiert – Shmuel Barzilai hatte auch davon einige köstliche
Beispiele mitgebracht, die er im gekonnten Spiel mit seinem
Auditorium in das überaus abwechslungsreiche Bühnenprogramm
einfließen ließ – so präsentiert sich auch die Musik der Synagogen.
Eine große Auswahl daraus - liturgische und weltliche Gesänge in
hebräischer und jiddischer Sprache - hatte der Künstler – am Flügel
kongenial und einfühlend begleitet von dem Osnabrücker
Dirigenten Holger Dolkemeyer – in sein Abendprogramm
aufgenommen - vieles davon den Mitgliedern der jüdischen Gemeinden
aus ihrem liturgischen Alltag wohlvertraut – anderes, das längst -
die Grenzen der Kulturen überschreitend - zum allgemeingültigen
Kulturgut geworden ist - für alle Besucher dieses unvergesslichen
Abends Grund genug, der Einladung Barzilais zum Mitsingen erst
zögerlich, dann aber mehr und mehr aus vollem Herzen zu folgen.
Der Wiener
Kantor, der an der Musikhochschule seiner Heimatstadt Operngesang
studiert und an der berühmten jüdischen Kantorenschule in Jerusalem
sein Können in dieser ganz besonderen Form des liturgischen
Gesanges zur Perfektion entwickelt hat, weiß mit seiner Stimme und
mit seinem Publikum umzugehen - es mit seinem Charme und seinem
Charisma für sich einzunehmen. Seine helle, obertönige Tenorstimme
versteht er mit den für den Synagogalgesang so typischen Schleifern
und Schluchzern zum Weinen zu bringen und nimmt damit seine Zuhörer
mit auf eine Reise durch die unterschiedlichsten Gefühlsebenen.
Lachen und Weinen – Trauer und Freude – Liebe und Leid – diese nur
scheinbaren Gegensätze spiegeln sich wider in den uralten
Traditionen überbrachter Worte und Melodien.
Es war große Musik, die da dem Auditorium – darunter sah man
neben dem Hausherrn, dem Vorsitzenden der Israelischen
Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Israel Epstein, auch den früheren
Speyerer Oberbürgermeister Werner Schineller mit Gattin,
Domkapitular Josef Damian Szuba und den Pfarrer der
Gedächtniskirchengemeinde Uwe Weinerth sowie den Vorsitzenden des
Freundeskreises Speyer – Yavne, Andreas Niggemann – gut anderthalb
Stunden lang geboten wurde: Große Musik von einer großen Stimme,
die Barzilai während des gesamten Konzertes nicht schonte.
Begeisterter, lang anhaltender Jubel und stehende Ovationen des
Publikums dankten den beiden Solisten ihre höchst anspruchsvollen
Darbietungen, die diese wiederum mit mehreren Zugaben quittierten,
die größtenteils durch Zurufe aus dem Auditorium ausgelöst wurden:
Wunschkonzert in der Synagoge also ganz zum Schluss. Einer der
Wünsche kam übrigens auch vom Geschäftsführer der Kultusgemeinde,
Daniel Nemirowsky, der sich bei den Künstlern mit koscherem
„Synagogenwein“ und Bildbänden über das neue Speyerer Gotteshaus
und über die SchUM-Städte bedankte.
Es war eine Idee des Zentralrates der Juden in Deutschland, den
Wiener Oberkantor im Rahmen ihres Kulturprogrammes auch nach Speyer
zu schicken. Bleibt zu hoffen, dass das nicht der letzte Abend in
dieser faszinierenden Art war, denn auch so können sich die durch
Hass und Gewalt über so viele Jahrzehnte entfremdeten Menschen –
Juden und Nichtjuden – wieder zu einer gemeinsamen Zukunft
kommen.
Die am gestrigen Abend in die Synagoge Gekommenen freuen sich
schon heute sehr darauf. Foto: gc
03.12.2012
80. Geburtstag Charlotte Knobloch
Ministerpräsident Beck:
Große Verdienste für Erinnerungskultur
„Ich danke Ihnen für Ihre Verdienste um eine
Kultur des Erinnerns, des Gedenkens und des Lernens und wünsche
Ihnen einen schönen Festtag.“ Mit diesen Worten gratulierte
Ministerpräsident Kurt Beck der ehemaligen Präsidentin des
Zentralrats der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, zu ihrem
80. Geburtstag am 29. Oktober.
Charlotte Knobloch habe ihr Leben und ihre Kraft
dem Erhalt der jüdischen Tradition und der Wiederbelebung des
jüdischen Lebens in Deutschland gewidmet. „Geprägt von den
Eindrücken des Zweiten Weltkrieges, den Verbrechen der
Nazi-Diktatur und durch ihr persönliches Schicksal, ist Ihr
Bekenntnis zur jüdischen Religion und ihrem kulturellen Erbe umso
deutlicher, Ihr Kampf gegen den Antisemitismus in unserer
Gesellschaft umso entschlossener“, so der Ministerpräsident in
seinem Schreiben. So habe sie immer wieder Impulse zur Aufarbeitung
der Vergangenheit gegeben, über die Landesgrenzen hinweg den Dialog
der jüdischen Gemeinden gefördert und maßgeblich dazu beigetragen,
dass – wie sie es in eigenen Worten formuliert habe – „die Juden
wieder Teil dieses Landes“ sind.
In Rheinland-Pfalz freue man sich über
neue Synagogen in Mainz und Speyer, mit denen nun
alle drei SchUM-Städte wieder einen würdigen Ort der Begegnung
hätten. „.Dank engagierter Personen, offener Kommunikation und
einem ehrlichen Interesse der Menschen ist das jüdische Leben nach
über sieben Jahrzehnten wieder im Alltag dieser Städte präsent“,
schreibt der Ministerpräsident.
Charlotte Knobloch wurde als erste Frau zur
Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und
Oberbayern gewählt. Von 2006 bis 2010 war sie Präsidentin des
Zentralrats der Juden in Deutschland. Von 2003 bis 2011 stand sie
dem Europäischen Jüdischen Kongress als Vizepräsidentin vor. Seit
2005 ist sie Vizepräsidentin des Jüdischen Weltkongresses.
STAATSKANZLEI RHEINLAND-PFALZ, Presse, Foto: Allgemeine
Zeitung
26.10.2012
Dr. Edith Székely ist im Alter von 103 Jahren gestorben
von Ria
Krampitz
Dr. Edith Székely, geborene Sussmanowitz, wurde am 24. April
1909 in Zeiskam geborenen. Ihre Kindheit und Jugendzeit verbrachte
sie in Speyer, wo ihr Vater als Arzt tätig war (Vergl. dazu Porträt
im SPEYER-KURIER vom 30.10.2011 unter „Jüdische
Lebensbilder“ - Johannes Bruno: Dr.med. Julius Isak
Sussmanowitz) Als Jüdin wurde auch die Tochter Edith verfolgt -
die politischen Verhältnisse zwangen sie immer wieder zur Flucht.
Vor dem Terror der Nazidiktatur flüchtete sie zunächst mit ihrem
Mann nach Holland, wo dieser den Freund eines verstorbenen Onkels
kannte. „Man ging halt dorthin, wo man jemand kannte. Alles war
zufällig“ so Edith Székely in einem Gespräch noch zu Beginn dieses
Jahres. Doch lange konnte das junge Ehepaar nicht in Holland
bleiben. Sie folgten dem Bruder Ernst in die Sowjetunion, wo dieser
als Arzt in einer jüdischen Organisation tätig war und sehr
enthusiastisch von seinem dortigen Leben und seiner Arbeit
berichtete.. Nach zwei Jahren aber, nachdem der Bruder auf der Krim
verhaftet und ermordet worden war, flüchtete das Ehepaar Székely
mit ihrer kleinen Tochter erneut – diesmal nach Finnland und von
dort weiter nach Schweden.
In Stockholm entwickelte sich Edith nach und nach zu einer
erfolgreichen Psychoanalytikerin, hatte enge und regelmäßige
Kontakte mit Margarete Mitscherlich und durfte auch Anna Freud noch
persönlich in London erleben.
Dr. Edith Székely war ihr ganzes Leben lang eine aktive Frau,
die bis zum Schluss ihren Geist beschäftigte und die
gesellschaftlichen Entwicklungen und ihr Leben stets kritisch
hinterfragte. „Was liest man denn zurzeit in Deutschland?“, fragte
sie noch Anfang 2012. Sie war von frühester Kindheit eine
begeisterte Leserin. Leider wurde ihre Sehkraft nach und nach immer
schwächer, so dass ihr diese Freude im hohen Alter nicht mehr
vergönnt war.
Bis zu ihrem 100. Lebensjahr wohnte Edith Székely noch in ihrem
Haus in Stockholm. Als sich ihr Gesundheitszustand aber immer
weiter verschlechterte und sie mehr und mehr Hilfe benötigte, zog
Edith Székely in ein jüdisches Altenheim. Vollkommen klar äußerte
sie zuletzt immer häufiger den Wunsch, sterben zu wollen. Am 21.
September 2012 ist sie nun im Kreise ihrer Familie eingeschlafen.
Sie hinterlässt zwei Töchter, einen Enkel und drei Urenkelinnen,
die ihre große Freude waren. Edith Székely war eine der immer
weniger werdenden Zeitzeugen, die die Nazidiktatur erlebt und
erfahren haben, was Antisemitismus bedeutet. Foto:
Privat
17.10.2012
Entscheidung über Schwetzinger Gedenkstätte für die Opfer des Nazi-Terrors auf die Zielgerade eingebogen
Jury bekennt
sich Matthias Brauns “Spiegel der Geschichte”.
Der Entscheidungsprozess über die Schwetzinger
Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus,
die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Rathaus entstehen soll - sie
ist jetzt wohl in die “Zielgerade” eingebogen. Gestern nun waren
die Bürgerinnen und Bürger der Residenzstadt zur öffentlichen
Vorstellung der in die Endrunde gekommenen Entwürfe in das
Kulturzentrum “Palais Hirsch” eingeladen, ehe der Gemeinderat der
Stadt dann am 27. September die endgültige Entscheidung darüber
treffen wird, welcher der Entwürfe in den nächsten Monaten
realisiert werden sollten.
War es dem Wetter geschuldet - kurz vor Beginn der
Veranstaltung ging über der Stadt erneut ein schwerer Regenguss
nieder - oder fühlten sich die Schwetzinger Bürgerinnen und Bürger
durch die breite öffentliche Diskussion sowie durch die umfängliche
Präsentation der fünf in die “Endrunde” gekommenen Entwürfe bereits
vorher umfänglich informiert - die Resonanz aus der Bürgerschaft
jedenfalls war eher gering, so dass sich Oberbürgermeister Dr.
René Pöltl bei seiner Begrüßung insbesondere auf die in großer
Zahl erschienenen Pressevertreter sowie auf die Mitglieder der Jury
beschränken konnte.
Dr. Pöltl schilderte noch einmal den Werdegang des
vieldiskutierten Projektes - der SPEYER-KURIER berichtete
ausführlich am 03.09.2012 - und bedankte sich noch einmal
ausdrücklich bei den Mitgliedern der Jury für ihre zielführende
Arbeit. “Mit dem heutigen Tag möchten wir die Diskussion über das
Projekt noch einmal auf eine breite, bürgerschaftliche Basis
stellen und in diesem Sinne zugleich auch die angestrebte
Bürgerbeteiligung herstellen”, betonte der Oberbürgermeister.
Der Kurator der Jury, Dr. Dietmar Schuth,
Vorsitzender des Schwetzinger Kunstvereins, stellte sodann
gemeinsam mit der Leiterin des Heideberger Kunstvereins, Susanne
Weiß, die eines der drei externen Mitglieder der Auswahljury
war, die fünf in den letzten Wochen auch im Foyer des Rathauses
präsentierten Entwürfe vor und erläuterte ausführlich Vorzüge und
kritikwürdige Details der fünf Arbeiten. Nach einer gründlichen
Begutachtung durch die anwesenden Gäste offenbarte Dr. Schuth
schließlich auch den Favoriten der Jury für die Realisierung: Es
ist dies der Entwurf des Würzburger Bildhauers und Architekten
Matthias Braun “Spiegel der Geschichte”.
Mit diesem Votum, so betonte Oberbürgermeister Dr.
Poeltl anschließend, sei jedoch noch keine endgültige Entscheidung
darüber gefallen, welcher Entwurf nach seiner Realisieung am 27.
Januar 2013 - dem bundesweiten Gedenktag für die Opfer des
Nationalsozialismus - eingeweiht werden wird. “Die Entscheidung
darüber obliegt einzig und allein unserem Gemeinderat”, so der
Oberbürgermeister abschließend. cr
15.09.2012
“www.epidat.de” - neue Internetplattform erlaubt neue Einblicke in reiche jüdische Geschichte in Speyer
cr.
Speyer. Rechtzeitig zum “Europäischen Tag der Jüdischen Kultur
2012" ist das Speyerer “Jüdische Museum SchPIRA” im Judenhof
um eine weitere Sehenswürdigkeit reicher: Im Medienraum des Museums
wurde gestern in Anwesenheit von Oberbürgermeister Hansjörg
Eger die neue Datenbank “epidat” vorgestellt, in der
unter 122 Beständen jüdischer Grabdenkmäler von Adelsleben bis
Würzburg auch 51 Inschriften von Grabsteinen des Speyerer
Judenfriedhofs aus der Zeit von 1145/46 bis 1407 verzeichnet
sind.
Heike Häußler,
Vorsitzende des Verkehrsvereins Speyer, der die Betreuung des
Museums SchPIRA übernommen hat, konnte dazu den Judaisten Dan
Bondy vom Solomon Ludwig Steinheim Institut für
Deutsch-Jüdische Geschichte in Essen begrüßen, der diese
Plattform aufgebaut hat und den Anwesenden, darunter auch Vertreter
der Jüdischen Gemeinde der Rheinpfalz, ihre selbsterklärenden
Funktionen präsentieren konnte.
Die
Inschriften, die auf vielfältige Weise zu erschließen sind - u.a.
auch chronologisch oder nach dem Namen des Verstorbenen - führen
den Besucher auf den jeweiligen originalen Wortlaut der Inschrift
in hebräischer Sprache. Daneben findet sich die deutsche
Übersetzung, wobei die verzeichneten Lebensdaten im Original nach
dem jüdischen Kalender vermerkt und in der Übersetzung bereits in
den Gregorianischen Kalender umgerechnet sind. Zu jedem Grabstein
gibt es eine ausführliche kunsthistorische Betrachtung, die
Aufschluss über Leben, Beruf, Familie und Funktion des Verstorbenen
in seiner damaligen jüdischen Gemeinde gibt.
Ein spannender Beitrag zum besseren Verständnis der
reichen jüdischen Geschichte in einem bedeutsamen Zeitabschnitt des
Judentum in Speyer.
Interessenten können die Inschriften unter Nennung
der Fundstelle - dem Solomon Ludwig Steinheim Institut in Essen -
für private und wissenschaftliche Zwecke auch ausdrucken.
Mit dieser neuen Datenbank erwartet sich das Museum
SchPIRA, das ohnedies mit der Eröffnung des Medienraumes im
Frühjahr 2012 seinen Zuspruch in erfreulichem Umfang steigern
konnte, eine weitere Intensivierung seiner Besucherzahlen. In dem
Museum werden unter anderem auch originale Grabdenkmäler bzw.
Abgüsse davon gezeigt, die nun auch im Internet bewundert werden
können unter: www.epidat.de Foto:
gc
03.09.2012
“Sie gehörten zu uns...” Schwetzingen gedenkt mit einem Mahnmal den Opfern der nationalsozialistischen Willkürherrschaft
Fünf
Entwürfe werden im Rathaus gezeigt
cr. Schwetzingen. Die Schwetzinger
Gedenkstätte zur Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus -
sie ist ihrer Verwirklichung einen guten Schritt näher gerückt. Im
Foyer des Rathauses können derzeit während der üblichen
Öffnungszeiten die von einer fachkundigen Jury aus 72 Entwürfen
ausgewählten Arbeiten besichtigt werden, ehe sie dann im Rahmen
eines Bürgertermins am 12. September im “Palais Hirsch” die
interessierte Öffentlichkeit noch einmal eingehender begutachten
kann. Am 27. September wird dann der Gemeinderat die
abschließende Entscheidung darüber treffen, welcher der
Entwürfe zur Ausführung kommen wird - für den 27. Januar 2013
- dem bundesweiten Gedenktag für die Opfer des
Nationalsozialismus - ist die Einweihung des Mahnmals auf
dem Platz zwischen Rathaus und dem Hotel “Adler Post”
vorgesehen.
Bis 15. Juni lief die öffentliche Ausschreibung für
das Mahnmal. Am 9. Juli tagte die vom Gemeinderat der Stadt
eingesetzte Jury unter der Leitung von Kurator Dr. Dietmar Schuth
vom Kunstverein Schwetzingen, externen Experten, Vertretern der
Fraktionen und der Verwaltung, die entsprechend dem im Frühjahr
festgelegten Verfahren eine Endauswahl von 5 Entwürfen zu treffen
hatte.
Diese fünf nunmehr in die öffentliche
Diskussion mit der Bürgerschaft geschickten Arbeiten
sind:
“Die große Lilie” von Bernd Münster und Michael
Ziercke, Kiel,
“Spurenfeld” von Reinhard Krehl und Carsten Busse,
Leipzig,
“Spiegel der Geschichte”, von Matthias Braun,
Würzburg,
“Kaddisch” von Marion Anna Simon, Köln
“Gebrochenen Leuchten” von Anika Gründel, Florian
Kirfel und Johanna Meibohm, Weimar
Diese Auswahl wurde von der elfköpfigen Jury aus
sechs städtischen und fünf Fachjuroren vorgenommen. Im einzelnen
gehörten dieser Jury an:
Die Städtische Juroren:
Dr. René Pöltl, Jurist - Oberbürgermeister der
Stadt Schwetzingen
Dr. Walter Manske, Diplom-Biologe -
Fraktionsvorsitzender der SPD im Gemeinderat
Herbert Nerz, Gärtnermeister -
Fraktionsvorsitzender der FDP im Gemeinderat
Dr. Jürgen Grimm, Rechtsanwalt -
Fraktionsvorsitzender des Schwetzinger Wählerforums 97 e.V. im
Gemeinderat
Elfriede Fackel-Kretz-Keller,
Sozialversicherungsfachangestellte - Stadträtin Freie Wähler
Vereinigung (FWV) und
Joachim Kresin, Diplom-Archivar - Leiter des
Stadtarchivs Schwetzingen
Dazu die Fachjuroren:
Dr. Barbara Gilsdorf, Kunsthistorikerin -
Kulturreferentin der Stadt Schwetzingen.
Prof. Hans Gercke, Kunsthistoriker - Leiter des
Heidelberger Kunstvereins von 1970 bis 2006 und Lehrbeauftragter an
der Universität Heidelberg.
Susanne Weiß, Diplom-Museologin - Leiterin des
Heidelberger Kunstvereins seit 2012 und
Prof. Dr. Edgar Wolfrum, Historiker - Inhaber des
Lehrstuhls für Zeitgeschichte an der Universität Heidelberg.
Kurator
Dr. Dietmar Schuth M.A., Kunsthistoriker -
Künstlerischer Leiter der Kunstvereine Schwetzingen und Worms.
Mit dem
Mahnmal will die Stadt an die Schwetzinger Opfer des
Nationalsozialismus erinnern. Dabei soll an alle Opfer des
nationalsozialistischen Terrors gedacht werden - jüdische
Mitbürgerinnen und Mitbürger, politische Gegner der Nazis,
Widerstandskämpfer und Homosexuelle - alle, die verfolgt und
ermordet wurden. Zahllose ausländische Zivilarbeiter und
Kriegsgefangene - die Quellen sprechen von 2.500 Personen, von
denen 1.550 namentlich bekannt sind - wurden in Schwetzingen als
Zwangsarbeiter missbraucht, einige davon verstarben in der Stadt.
Insgesamt sind für den Zeitraum von 1933 bis 1945 etwa sechzig
Todesopfer bekannt.
Vor der sogenannten “Machtergreifung” im Jahre 1933
lebten knapp 90 Bürger jüdischen Glaubens in der kleinen
Residenzstadt, von denen die meisten schon vor 1940 in die
benachbarten Großstädte abwanderten. 1940 wurden die letzten fünf
Juden aus Schwetzingen in das Internierungslager Gurs am Fuße der
französischen Pyrenäen deportiert, von wo aus sie 1944 in das
Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verschleppt und dort getötet
wurden.
Nach dem Krieg erinnerte nur noch der bis heute
bestehende jüdische Friedhof an die reiche Geschichte der kleinen
jüdischen Gemeinde in Schwetzingen - die Synagoge - in der nach ihr
benannten Synagogengasse - der heutigen Invalidengasse - war, wie
die meisten jüdischen Gotteshäuser, bereits in der
Reichspogromnacht niedergebrannt worden, so dass die verbliebenen
Juden ihre Gottesdienste in wechselnden Bethäusern in privaten
Anwesen, u.a. aber auch im nördlichen Zirkelsaal des Schlosses
abhalten mussten.
Erst durch ein Schülerprojekt unter dem
Titel “Sie gehörten zu uns...” wurde im Jahr 1979 die
Erinnerung an die jüdischen Mitbürger der Stadt und ihr bedeutsames
kulturelles wieder belebt. Dies war wohl auch der Ausgangspunkt für
die Überlegungen für eine Erinnerungsstätte, das jetzt in die
Endphase seiner Realisierung einmündet.
Das Mahnmal, für dessen Ausführung der Schwetzinger
Gemeinderat eine Summe von 25.000 Euro bereitgestellt hat, soll die
Inschrift tragen:
"Im Gedenken an die Schwetzinger Opfer des
Nationalsozialismus und zur Mahnung an die Wahrung der Demokratie,
der Menschenrechte und der Grundrechte.
Für die Schwetzinger Bürgerschaft - Der
Gemeinderat und der Oberbürgermeister am 27. Januar 2013".
30.08.2012
Zum Gedenken an Edith Stein - Heilige des Bistums Speyer und Patronin Europas
Gedenkfeier
auf Bahnsteig 3 des Schifferstadter Hauptbahnhofs erinnert an
letztes Zeichen der großen Ordensfrau
von Gerhard Cantzler
So als wollte er mittrauern war der Himmel über
Schifferstadt war tief dunkel verhangen, als sich heute mittag gut
100 Bürgerinnen und Bürger der Stadt auf dem Bahnsteig 3 des
Hauptbahnhofs versammelten, um in einer bewegenden Feier des Tages
und der Stunde zu gedenken, als sich hier vor 70 Jahren die Spur
der Patronin Europas und großen Heiligen des Bistums Speyer, der
Ordensschwester Teresia Benedicta vom Kreuz - der zum Katholizismus
konvertierten Jüdin Dr. Edith Stein - auf ihrem Weg in das
Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau verlor.
Es war wohl
genau 12.54 Uhr, als an diesem Tag der Transport mit 987 Gefangenen
- eingepfercht in umgebauten Viehwagen auf ihrer Fahrt vom
Durchgangslager Westerbork in den besetzten Niederlanden ins
polnische Auschwitz - auf Gleis 3 in Schifferstadt anhielt. Ein
Augenzeuge, der damalige Bahnhofsvorsteher Valentin Fouquet,
erinnerte sich später, dass er von einer dunkel gekleideten Dame
angesprochen worden sei, die ihn aus dem Zug heraus fragte, ob er
wohl die Familie Schwind aus der Schifferstadter Ludwigsstraße
kenne.
Valentin
Fouquet - ein Schulkamerad des späteren Pfarrers Konrad Schwind -
konnte die Grüße gerne entgegennehmen, die ihm die Dame auftrug,
die sich ihm als Edith Stein vorstellte und die ihn zugleich bat,
diese Grüße auch an die Ordensschwestern vom Speyerer Kloster St.
Magdalena sowie an Domkapituar Prälat Nikolaus Lauer - den
langjährigen Schriftleiter der Bistumszeitung “Der Pilger” - zu
übermitteln.
Dies war das letzte Lebenszeichen der großen
Ordensfrau auf ihrem Weg in den Tod.
Heute nun
läuteten um 12.55 Uhr die Glocken der Pfarrkirche St. Laurentius,
als Kaplan Ralf Feix die zahlreichen Teilnehmer der Gedankfeier
begrüßte, unter ihnen auch Bürgermeisterin Ilona Volk und die
Landtagsabgeordnete Friederike Ebli. Er erinnerte an die Millionen
Menschen, die in dieser Zeit als Juden verfolgt, gequält und
ermordet wurden. Auch diejenigen, die sich als Christen taufen
ließen, seien - wie Edith Stein - am Ende nicht verschont worden.
523 der 987 Gefangenen dieses Transports starben bereits
unmittelbar nach ihrer Ankunft in Auschwitz-Birkenau in der
Gaskammer des Vernichtungslager - kaum einer überlebte das Grauen
des KZ.
Zum Gedenken an den Augenblick, als Edith Stein zum
letzten Mal Grüße an Freunde in der ihr zur Heimat gewordenen Pfalz
übermitteln konnte, wurde sodann am Bahnsteig 3 des Schifferstadter
Hauptbahnhofs eine Kerze entzündet und eine weiße Rose niedergelegt
- ihr und allen Opfern zum Gedächtnis, die das gleiche Schicksal
mit ihr teilen mußten.
Nach einer
Weile des stillen Gedenkens betete die Gemeinde schließlich im
Wechsel mit Kaplan Ralf Feix und den Pastoralreferenten Margarita
Kirsch und Heinrich Schmith den Psalm 88 - ein “Gebet in großer
Verlassenheit und Todesnähe”, wie ihn der Psalmist beschreibt -
“der dunkelste Psalm überhaupt”, so Kaplan Feix.
Mit der heutigen Gedenkfeier eröffnete die
Pfarreiengemeinschaft Schifferstadt zugleich die Vorbereitungen zum
Besuch das “Zuges der Erinnerung”, der am 19. und 20. Oktober in
Schifferstadt Station machen wird und mit dem an das Schicksal
vieler hunderttausend deportierter Kinder erinnert werden soll, die
- wie die heilige Edith Stein - ihr Leben in den Gaskammern des
Ostens vollendeten. Foto: gc; Johann Benedom
30.08.2012
“SchUM-Städte wollen auf die UNESCO-Welterbe-Liste:
Land, Kommunen
und jüdische Gemeinden beschließen Kooperationsvereinbarung für
Aufnahmeantrag.
rpl. Mainz. Das Ziel ist klar: Die
sogenannten “SchUM-Städte” Speyer, Worms und Mainz sollen mit ihrem
außergewöhnlichen jüdischen Erbe Eingang finden in die
UNESCO-Welterbeliste, für die das Land Rheinland-Pfalz aktuell mit
den beteiligten Kommunen und Vertretern der jüdischen Gemeinden
eine Nominierung vorbereitet. Grundlage dafür ist eine gemeinsame
Kooperationsvereinbarung, die die Partner jetzt - noch vor der
offiziellen Abgabe der Nominierungsunterlagen bei der
Kultusministerkonferenz (KMK) zum 1. August 2012 - unterzeichneten.
Sie bildet die Basis für die künftige Zusammenarbeit und gemeinsame
Aufgaben, die mit dem Welterbe-Antrag verbunden sind.
Für das Land Rheinland-Pfalz unterzeichnete
Ministerpräsident Kurt Beck die Kooperationsvereinbarung. Für die
beteiligten Gemeinden unterschrieben die Oberbürgermeister der
Städte Speyer, Worms und Mainz, Hansjörg Eger, Michael Kissel und
Michael Ebling. Als Repräsentanten der jüdischen Gemeinden
leisteten der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen
Gemeinden von Rheinland-Pfalz, Dr. Peter Waldmann, die Vorsitzende
der jüdischen Gemeinde Mainz, Stella Schindler-Siegreich, und der
Geschäftsführer der jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz, Daniel
Nemirovsky, ihre Unterschriften. Der feierlichen Unterzeichnung
wohnten auch die rheinland-pfälzische Kulturministerin Doris Ahnen
sowie der Welterbebeauftragte des Landes, Staatssekretär Walter
Schumacher, bei.
Die Kooperationsvereinbarung ist ein erster
formaler Schritt, dem konkrete Maßnahmen folgen sollen. So wollen
die Partner etwa in einem gemeinsamen Verein künftige Aufgaben, die
mit dem Welterbe-Antrag verbunden sind, koordinieren und umsetzen.
Verantwortlich sein wird der Verein unter anderem. für die
Erstellung der Bewerbungsunterlagen sowie für die
Öffentlichkeitsarbeit und die touristische Erschließung der
“SchUM-Städte”.
"Es muss uns
allen ein Anliegen sein, aus den Lehren der Vergangenheit die
richtigen Folgerungen zu ziehen. Dazu gehört, dass wir dem
jüdischen Leben in unserer Gesellschaft den Platz geben, der ihm
zusteht", betonte Ministerpräsident Kurt Beck. "Es gehört auch
dazu, dass wir daran erinnern, welche enorme Bedeutung die
SchUM-Städte in der Geschichte hatten. Dementsprechend ist es
richtig, dass wir entlang des Rheins die christlichen Dome und eben
auch die jüdischen SchUM-Städte als Welterbe anmelden. Ich danke
allen Beteiligten für die gute Zusammenarbeit auf dem Weg dorthin",
sagte der Ministerpräsident. Wenn der Antrag dann noch Erfolg habe,
sei ein Kulturbeitrag von herausragender Bedeutung gelungen, so
Kurt Beck.
"Die SchUM-Gemeinden sind reich an einzigartigen
Zeugnissen der mittelalterlichen jüdischen Historie und verraten
uns zugleich viel über die frühen Beziehungen zwischen jüdischer
und christlicher Kultur", sagte Kulturministerin Doris Ahnen. "Mit
dem Welterbe-Antrag kommt Rheinland-Pfalz einer großen
Verantwortung nach: Der Pflicht, sich der jüdischen Geschichte und
ihrer großen Bedeutung für unser Land immer wieder bewusst zu
werden. Zugleich machen wir uns stark für die Aufrechterhaltung und
Weiterentwicklung jüdischen Lebens heute." Jüngst sei dies erst mit
dem vom Landtag beschlossenen Gesetz geschehen, auf dessen Basis
der neue Staatsvertrag zwischen Rheinland-Pfalz und dem
Landesverband der Jüdischen Kultusgemeinden in Kraft treten
konnte.
"Von den drei SchUM-Gemeinden ausgehend entwickelte
sich eine neue, das Judentum über Jahrhunderte prägende,
eigenständige Kultur in Mitteleuropa, die im Austausch und in der
Auseinandersetzung mit der christlichen Kultur ihren spezifischen
Charakter gewann", sagte der Oberbürgermeister der Stadt Speyer,
Hansjörg Eger.
"Die Stadt Mainz unterstützt das Projekt eines
UNESCO-Weltkulturerbes der drei SchUM-Städte aus ganzem Herzen", so
der Oberbürgermeister der Landeshauptstadt, Michael Ebling. "Mit
dem Ziel ihrer Anerkennung wollen wir gemeinsam an die uralte
jüdische Tradition des Lernens und Lehrens, die in den
SchUM-Gemeinden Speyer, Worms und Mainz gepflegt wurde, anknüpfen
und deren große Bedeutung für unsere Kultur den nachfolgenden
Generationen vermitteln."
"Die SchUM-Städte spielen für die Juden wie für die
Deutschen eine wichtige Rolle. Für Juden ist der Gedanke wichtig,
den die SchUM-Gemeinden repräsentieren, denn diese Gemeinden
schufen einen Brückenschlag zwischen dem Neuen und dem Alten", so
der Vorsitzende des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von
Rheinland-Pfalz, Dr. Peter Waldmann. "Die SchUM-Gemeinden stellen
so einen dritten Weg dar zwischen den Gegensätzen von liberalem und
orthodoxem Judentum. Für die christliche Umwelt ist die Erinnerung
an die jüdische Tradition deshalb so wichtig, weil bewusst gemacht
werden kann, dass deutsche Geschichte und auch deutsche Identität
ebenfalls vom Judentum abhängen."
Die drei
jüdischen Zentren des Rheingebietes haben im Mittelalter bedeutende
jüdische Gemeinden hervorgebracht, die in außergewöhnlicher Weise
miteinander kooperierten und Anfang des 13. Jahrhunderts mit ihren
Erlassen und Talmudschulen eine führende Rolle im aschkenasischen
Judentum einnahmen. Auch die Entwicklung neuer Architekturformen
prägten sie maßgeblich: Bis heute sind in den SchUM-Städten
herausragende jüdische Ritualbauten aus dem Mittelalter erhalten
geblieben, so etwa die monumentale Mikwe und die um 1104
eingeweihte Synagoge in Speyer, die zu den ältesten und
bedeutendsten nördlich der Alpen zählt, der jüdische Friedhof
Heiliger Sand in Worms oder der Denkmalfriedhof in Mainz. Das Wort
SchUM ist ein Akronym aus den Anfangsbuchstaben der
mittelalterlichen, hebräischen Namen von Speyer, Worms und Mainz:
Schin (Sch) für Schpira, Waw (U) für Warmaisa und Mem (M) für
Magenza.
Bereits seit der Regierungserklärung von 2006
verfolgt die rheinland-pfälzische Landesregierung das Ziel, das
mittelalterlich-jüdische Erbe der SchUM-Gemeinden als
UNESCO-Welterbestätte vorzuschlagen. Untermauert hat sie dieses
Ziel noch einmal mit dem aktuellen Koalitionsvertrag.
Voraussichtlich in drei Jahren wird die aktuelle Vorschlagsliste
der Bundesrepublik bei der UNESCO abgearbeitet sein. Neben dem
SchUM-Antrag bildet der Erweiterungsantrag des Welterbes Speyerer
Dom um die Dome in Mainz und Worms den zweiten Antrag. Das
aufwendige mehrjährige Verfahren der eigentlichen Antragstellung
bei der UNESCO wird in einem zweiten Schritt erfolgen. Foto:
Bildergalerie rlp
20.06.2012
Joselmann von Rosheim - Fürsprecher der Judenheit und früher Europäer -
Ausstellung
über einen Vorkämpfer eines geeinten Europas im Alten
Stadtsaal
cr. Speyer. Er war - im heutigen Sinne - so
etwas wie einer der ersten wahren Europäer - Josel ben Gerschon
von Rosheim (1478 - 1554), in seiner Wirkungszeit von etwa 1507
bis zu seinem Tode 1554 ein geschickter und von allen Seiten hoch
angesehener Mittler zwischen Politik und Judentum, zwischen Kaiser,
Fürsten und den jüdischen Gemeinden im damaligen Heiligen Römischen
Reich deutscher Nation. An ihn erinnert derzeit eine höchst
informative Ausstellung im Alten Stadtsaal, die zuvor schon in
Erfurt gezeigt wurde und von Speyer aus ins elsässische Hagenau
weiterziehen wird.
Bei der
Eröffnung der Ausstellung, zu der neben Oberbürgermeister Hansjörg
Eger und Israel Epstein, Vorsitzender der Jüdischen Kultusgemeinde
der Rheinpfalz, auch Prof. Dr. Freddy Raphael - Historiker und
einer der Initiatoren der Ausstellung sowie ein intimer Kenner der
Geschichte des Judentums im Elsaß - gekommen waren, gab Dr. Uri
Robert Kaufmann von der Forschungsstelle “Alte Synagoge Essen”
einen Einblick in die Situation der Juden in dieser - wie er sie
beschrieb - turbulenten Zeit: In den Jahren 1492 bis 1496 waren die
Juden aus Spanien und aus Portugal ausgewiesen worden, der Adel im
Reich stellte sich gegen den Kaiser, die Bauern führten 1525 Krieg
gegen ihre Herren und die wachsende Kritik gegen die Kirche mündete
in Reformation und Kirchenspaltung ein.
Aus 230 Städten im Reich waren im 15. Jahrhundert
die Juden vertrieben worden - so auch in Speyer - übrig blieben nur
wenige Gemeinden wie in Worms, Frankfurt oder in Prag. Krude
Unterstellungen - Horrorgeschichten von Hostienschändungen und
Ritualmorden durch Juden - kursierten in Europa und lösten immer
wieder Pogrome aus.
In diese wirren Zeitumstände hinein wurde der in
Hagenau im Elsass geborene Joselmann im Jahr 1507 zum “préposé des
Juifs de la Basse Alsace” - zum “obersten Fürsprecher” der
elsässischen Juden am Oberrhein - gewählt. Durch seinen klugen
politischen Einsatz und seine geschickte Verhandlungsführung fand
er Zugang bis hinauf zum Kaiser und reiste zu Verhandlungen mit
Fürsten nach Sachsen, nach Augsburg sowie zum “immer währenden
Reichstag” in Regensburg.
So kam er 1542
auch nach Speyer, wo er vor dem Reichskammergericht die Juden gegen
polemische Bücher und haltlose Verleumdungen verteidigte. Auch in
Verhandlungen mit anderen Fürsten setzte er sich erfolgreich für
die Rechte der Juden ein und konnte manchen Landesherren umstimmen.
Dadurch wurde er über die Grenzen des Elsass hinaus als Verteidiger
der jüdischen Gemeinden in religiösen und in Rechtsfragen immer
bekannter und wuchs allmählich in die Rolle eines „Befehlshabers
der gemeinen Judischheit in Teutschland“ hinein. Einen klaren
Status hatte er in dieser Funktion allerdings nicht. Er wurde im
Gegenteil sogar einmal zu einer hohen Geldstrafe durch das
Reichskammergericht verurteilt, weil er sich in einer Eingabe an
dieses Gericht als „Regierer der gemeinen Jüdischkeit“ bezeichnet
hatte. Josels persönlichem Einsatz sei es jedoch zu verdanken
gewesen, dass eine Reihe geplanter Ausweisungen von Juden aus
Städten und Gemeinden nicht ausgeführt wurden - so berichten
Chroniken.
Am 20. Oktober 1520 erwirkte Josel anlässlich der
Krönung Karls V. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches
Deutscher Nation in Aachen einen Schutzbrief für alle Juden des
Reiches, in dem ihre durch Kaiser Maximilian I. zehn Jahre zuvor
verliehenen Rechte bestätigt werden.
Während des Bauernkrieges wollten elsässische
Bauern 1525 auch die Stadt Rosheim stürmen. Und was den beiden
elsässischen Reformatoren Wolfgang Capito und Martin Butzer zuvor
nicht gelang, erreichte Josel von Rosheim: Er überzeugte den
Anführer der Bauern, Erasmus Gerber, in einer längeren Disputation,
Stadt und Juden zu verschonen.
Durch all das wuchs Josel von Rosheim immer mehr in
die Rolle des Sprechers der gesamten Judenheit des Reiches hinein -
er wurde zum “Schtadlan”, zum offiziellen, von den Gemeinden
anerkannten Vertreter der Juden im Heiligen Römischen Reich und in
Polen. Als „Regirer“ der Juden wurde er auch von Gemeinden aus
anderen Teilen Europas um vermittelnde Unterstützung gebeten.
Damit blieb er auch weiterhin erfolgreich und
erwirkte am 18. Mai 1530 erwirke von Kaiser Karl V. das Edikt von
Innsbruck, in dem alle Rechte und Freiheiten, wie sie bei der
Kaiserkrönung in Aachen bestätigt worden waren, erneut bekräftigt
wurden.
1530 verlas Josel von Rosheim auf dem Reichstag „im
Namen der gesamten Judenheit“ seine “Takkanot”, d. h. seine
„Bestimmungen“, die besonders den Geldgeschäften der Juden mit
Christen einheitliche Regeln verliehen. Damit ließen sich eine
Reihe antijüdischer Verordnungen, die den Juden Wucherzins und
Geldbetrug vorwarfen, verhindern.
In den folgenden Jahren vertrat Josel schließlich
jüdische Gemeinden unter anderem in Deutschland, Ungarn, Böhmen und
in Italien. Nachdem Martin Luther ihm die Unterstützung beim Kampf
um die Aufhebung des kurfürstlichen Ediktes über die Ausweisung
aller Juden aus Sachsen verwehrte und 1543 mit seiner Schrift “Von
den Juden und ihren Lügen” offen Position gegen die Juden einnahm,
orientierte sich Josel von Rosheim immer stärker an den Positionen
des katholischen Kaisers. Auch finanziell unterstützten die Juden
danach die Politik des Kaisers, weil sie im kaiserlichen Schutz die
einzige Möglichkeit sahen, in den Wirren von Reformation und
beginnender Gegenreformation als jüdisches Volk zu überleben.
Josel starb vermutlich 1554 in Rosheim - ein
Hinweis auf eine Grabstelle ist dort jedoch nicht mehr zu
finden.
Mit dem Tod Josels von Rosheim verloren die Juden
in Deutschland und weit darüber hinaus ihren wohl wichtigsten
Anführer, so dass eine aktive Politik der jüdischen Gemeinden bei
den kaiserlichen Behörden in den Folgejahren wieder zum Erliegen
kam.
Bis heute kann
das Beharren Josels von Rosheim auf die Achtung der Menschenwürde
und die Einhaltung der Menschenrechte als Inspiration für das
Bemühen um ein freiheitliches, geeintes und friedliches Europa
gelten.
Die Ausstellung im Alten Stadtsaal - sie konnte
dank der Unterstützung durch die Kulturstiftung Speyer (Dr. Heinz
Danner-Stiftung) realisiert werden - ist noch bis zum 29. Juni
jeweils Montag bis Donnerstag von 9.00 bis 17.00 Uhr und Freitags
von 9.00 bis 12.00 Uhr geöffnet. Jeweils an den Montagen finden um
19.00 Uhr in der Ausstellung begleitende Vorträge von Dr. Stephan
Wendehorst, Universität Gießen/Universität Wien, Prof. Dr.
Friedrich Battenberg, Darmstadt und Dr. Werner Transier,
Historisches Museum der Pfalz in Speyer statt. Foto:
gc
08.06.2012
Dokumatation zur Synagogeneinweihung
Damit nichts vergessen wird: Dokumentation zur
Synagogen-Einweihung vorgestellt
cr. Speyer. Mit
der Vorstellung einer repräsentativen Dokumentation über die neue
Speyerer Synagoge “Beith Schalom” auf dem Weidenberg fanden jetzt
die Feierlichkeiten zur Indienststellung des Gotteshauses ihren
würdigen Schlusspunkt. Das Buch, dessen erstes Exemplar heute der
Geschäftsführer der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz e.V.,
Daniel Nemirowsky, und die PR-Beauftragte der für den Bau
verantwortlichen Firma, der Heberger Bau AG, Anja Koch, heute an
Oberbürgermeister Hansjörg Eger überreichten, umfasst neben den am
Tag der Einweihung gehaltenen Festreden viele weitere Informationen
über die neue Synagoge und über die Geschichte des Judentums in
Speyer überhaupt. “Es war uns wichtig, dass die am 09. November von
so vielen Persönlichkeiten gesprochenen Worte bewahrt und nicht
vergessen werden”, begründete Nemirowsky die Veröffentlichung des
Bandes, für den die Firma Heberger die finanzielle Patenschaft
übernommen hat.
In eindrucksvollen Bildern dokumentiert das Werk
zudem den Ablauf des Baues, geht auf die damit verbundenen
technischen Schwierigkeiten ein und schildert schließlich die
Feierlichkeiten bis hin zur Überreichung der von Wolf Spitzer
geschaffenen Skulptur einer Menorah durch die beiden christlichen
Kirchen der Stadt.
In den Band aufgenommen wurde auch der von Dr.
Werner Transier aus Anlass der Jüdischen Kulturwoche gehaltene
Vortrag “Das ist das Tor zum Herrn ...”, der die wechselvolle
Geschichte der jüdischen Synagogen und Bethäuser in Speyer
beschreibt.
Auch Anja Koch ging
noch einmal auf die besonderen Schwierigkeiten für die Bauleute
ein, denen es aufgegeben war, auf dem rechteckigen Grundriss der
ehemaligen Klosterkirche St. Quido den in Form einer Ellipse
basierten und traditionsgemäß in Richtung Jerusalem ausgerichteten
Synagogenbau zu errichten. “Diesen Auftrag auszuführen war für uns
alle eine ganz besondere Herausforderung und eine überaus große
Freude”, betonte Frau Koch, die sich bei allen an dem Bau
beteiligten Unternehmen, aber auch bei der Bauherrschaft und den
Nachbarn für die reibungslose Zusammenarbeit bedankte.
In dieses Lob stimmte
auch Oberbürgermeister Hansjörg Eger mit ein, der bekannte, dass
ihm - je näher der 9. November rückte - um so mehr “graue Haare
gewachsen” seien. “Ich hättees nicht für möglich gehalten, dass das
Bauwerk rechtzeitig fertig würde”, unterstrich Eger, “das große
Engagement aller Handwerker aber hat am Ende alles zu einem guten
Ende gebracht”.
Der neue Band, der in keinem Bücherregal Speyerer
Freunde von Judentum und Stadtgeschichte fehlen darf und sich
deshalb ganz besonders als kleines, aber kostbares “Mitbringsel”
für einen Besuch “zwischen den Jahren” (und natürlich auch danach
...) eignet, ist ab sofort im Jüdischen Gemeindezentrum in der
neuen Synagoge, im Museum SCHPIRA sowie in der Tourist-Information
in der Maximilianstraße gegen eine Schutzgebühr von 5,00 Euro zu
erhalten. Foto: Kienipress
28.12.2011
Zeichen der Verbundenheit in dem einen, gemeinsamen Gott
Speyerer Christen überreichen offiziell Menorah
für die neue Synagoge
cr.
Speyer. Der große Fest- und Versammlungssaal unter der neuen
Synagoge war wieder einmal bis auf den letzten Platz besetzt, als
die beiden christlichen Kirchen am Vorabend des jüdischen
Lichterfestes Chanukka “ihren älteren Brüdern” - nunmehr auch
offiziell - ihr Geschenk zur Eröffnung der neuen Speyerer Synagoge
“Beith Schalom” überreichten: Eine eindrucksvolle Skulptur einer
Menorah, des siebenarmigen Leuchters des Judentums, den der
Speyerer Künstler Wolf Spitzer entworfen und sein Kollege, der
Metall-Künstler Michael Fetzer ausgeführt hat.
24.000 Euro haben sich die beiden christlichen
Kirchen ihr Geschenk zur Einweihung der Synagoge kosten lassen - je
7.000 Euro von der Protestantischen Landeskirche der Pfalz und dem
Bistum Speyer, der Rest, 10.000 Euro kommt aus Spenden der
katholischen und protestantischen Kirchengemeinden der Stadt. Die
Stadt Speyer hat zudem die Kosten für die Herstellung des Sockels
und die Montage des Kunstwerks darauf übernommen. Ein
Gemeinschafts-Werk also im besten Sinne, das die Vertreter der
beiden Kirchen jetzt in Anwesenheit des Oberbürgermeisters dem
Vorsitzenden der jüdischen Kultusgemeinde Rheinpfalz, Israel
Epstein - angesichts des unwirtlichen Wetters draußen in der
symbolischen Form eines Fotos - im Inneren, im Festsaal
überreichten.
Als Sprecher
der katholischen Christen in der Stadt erinnerte Pfarrer Hubert
Ehrmanntraut noch einmal an die reiche Geschichte des Judentums in
Speyer und auch an die vielen Gemeinsamkeiten von Juden und
Christen, ausgehend vom Jahr 1090, als Bischof Rüdiger Hutzmann die
den Juden vom Kaiser gewährten Privilegien noch einmal ausweitete
und bestätigte - was er sich allerdings gut bezahlen ließ, wie der
Geistliche hinzufügte. Ehrmanntraut wies aber auch auf das stetige
Auf und Ab der jüdischen Gemeinden in Speyer über die Jahrhunderte
hin, wo es bereits 1096 in der Folge einer Pestepidemie zu einem
ersten Pogrom kam, dem bis heute überall in der Welt in der
jüdischen Liturgie gedacht werde. Er erinnerte an die glänzenden
Zeiten, in denen die Städte Speyer, Worms und Mainz als Stätten der
jüdischen Gelehrsamkeit als “das Jerusalem am Rhein” in die ganze
jüdische Welt ausstrahlten, vergaß aber auch nicht den 9. November
1938, als in der so genannten “Reichspogromnacht” auch die Speyerer
Synagoge in Flammen aufging. Von den 269 Juden, die damals in
Speyer lebten, sei nach dem Kriege noch einer übrig geblieben - die
anderen starben in den Konzentrationslagern der Nazis oder flohen
aus ihrer Heimatstadt in sicherere Länder der Erde. Erst in den
neunziger Jahren seien wieder Juden in Speyer zugezogen - ihnen als
“unseren älteren Schwestern und Brüdern wollen wir diese Menorah
als weithin sichtbares Zeichen unserer Verbundenheit in dem einen
Gott” überbringen, schloss Ehrmanntraut.
Für die
protestantischen Christen in Speyer dankte Dekan Friedhelm Jakob
dem früheren Speyerer Oberbürgermeister Werner Schineller für seine
Idee zu diesem “ganz besonderen Geschenk”. Sein Dank galt aber auch
Israel Epstein dafür, dass er diesem Vorschlag so bereitwillig
gefolgt sei. Schließlich bezog er in seinen Dank auch Diakon
Michael Nowicki mit ein, der diesen Gedanken in den Speyerer
Stadtkonvent aus Geistlichen beider Konfessionen getragen und
umgesetzt habe. Für die Protestanten in der Stadt bedeute die neue
Synagoge Herausforderung, Auftrag und Verpflichtung zugleich,
betonte Dekan Jakob, das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte -
gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse - nicht in
Vergessenheit geraten zu lassen. “Erinnerung ist der Beginn der
Verarbeitung”, schloss er seine Ansprache, “Ehrfurcht vor dem
einen, gemeinsamen Gott ist unsere Verpflichtung”. Sie verbinde
Christen mit Juden und Muslimen.
Für die
Jüdische Gemeinde Rheinpfalz dankte Geschäftsführer Daniel
Nemirowsky den christlichen Gemeinden für ihr “großzügiges
Geschenk”. Anliegen der jüdischen Gemeinde sei es, einen Austausch
mit den anderen Religionsgemeinschaften in der Stadt zu etablieren.
“Beith Schalom”, das “Haus des Friedens” solle dazu ein Ort der
Begegnung sein und jedermann offen stehen.
Der Schöpfer der Skulptur, Wolf Spitzer, bedankte
sich schließlich für den Auftrag zu diesem Werk und trug aus seiner
Reihe “Notizen zu jüdischen Denkmalen in Speyer” seine Gedanken zu
der “Skulptur namens Menora” vor, die der SPEYER-KURIER mit
freundlicher Genehmigung des Künstlers im Nachtrag in der von ihm
gestalteten Form abdruckt.
Den
bevorstehenden Festtagen entsprechend entzündete Kantor Guido
Shamir sodann die erste Kerze des Chanukkah-Leuchters, nicht ohne
zuvor die Bedeutung dieses Festes für die gläubigen Juden und die
Ähnlichkeiten mit dem Brauchtum des christlichen Adventskranzes
dargestellt zu haben. Dem Namen der Synagoge angemessen sangen die
Anwesenden schließlich noch das bekannte jüdische Friedenslied
“Hewenu schalom alechem” - “Wir wünschen Frieden für alle” - der
Frauenchor der Gemeinde intonierte Lieder zu Chanukkah, darunter
das “Hawa Narim” nach der bekannten Melodie des “Tochter Zion” von
Georg Friedrich Händel. Foto: kienipress
21.12.2011
Jüdische Feiertage - Einblicke in religiöse Traditionen und rituelles Brauchtum
Nach der Vorstellung von Rosch ha-Shanah,
dem jüdischen Neujahrsfest am 28. September, setzt der
SPEYER-KURIER heute seine Beiträge zu den jüdischen
Hochfesten des Jahreskreises mit einem Beitrag über
Chanukkah, das jüdische Lichterfest, fort. Damit will der
SPEYER-KURIER nichtjüdischen Menschen Einblicke in die
religiösen und rituellen Traditionen der jüdischen
“Seinsgemeinschaft” vermitteln, die bei uns durch den Holocaust
untergegangen waren und die sich bei uns erst langsam wieder
beleben.
Heute:
Erinnerung und ausgelassenes Feiern: Chanukkah -
das jüdische Lichterfest
von Gerhard Cantzler
Heute abend ist es wieder soweit: In allen
jüdischen Haushalten wird bei Sonnenuntergang die erste Kerze am
Chanukkah-Leuchter entzündet und damit dieses traditionelle, acht
Tage dauernde Lichterfest der Juden, eröffnet. Abend für Abend wird
dann unter traditionellen Segenssprüchen eine weitere Kerze
angesteckt, bis der Leuchter in voller Pracht erstrahlt.
Der achtarmige
Chanukka-Leuchter darf nur einmal im Jahr - zu diesem Fest -
entzündet werden. Traditionell ist in der Mitte des Leuchters auch
noch eine neunte Kerze, der Schamasch - das bedeutet “der Diener” -
aufgesteckt, mit dem die anderen Kerzen des Leuchters angezündet
werden.
Mit dem Chanukkah-Fest erinnern die Juden an die
Wiedereinweihung des Tempels von Jerusalem nach dem sogenannten
Makkabäeraufstand im Jahr 165 v. Chr., durch den die
Schreckensherrschaft der griechischen Syrerdynastie der Seleukiden
über die Juden beendet wurde. Nachdem dann der Tempel von den
griechischen Götzenbildern befreit und gereinigt worden war, mußte
er nach jüdischem Ritus neu konsekriert werden.
Chanukkah bedeutet deshalb soviel wie
“Neueinweihung” und erinnert an das folgende Vorkommnis: Damals war
im Tempel nur noch eine winzige Menge geweihtes Öl übrig, das
gerade gereicht hätte, den Tempel einen Tag lang zu erleuchten. Das
Herstellen von neuem Öl hätte jedoch mehrere Tage in Anspruch
genommen - das ewige Licht im Tempel drohte also zu erlöschen. Da
ereignete sich das Wunder: Das Licht brannte zur allgemeinen
Verwunderung acht Tage weiter....
Auch wenn Chanukkah im jüdischen Verständnis nur
ein “Halbfeiertag” ist, weil er nicht auf biblische Gebote
zurückgeht, sondern nur auf ein historisches Ereignis, so wird er
doch in den Familien und Gemeinden ausgelassen gefeiert. Für die
Kinder gibt es Geschenke und der Tisch ist an diesen Tagen mit
traditionellen Speisen reichlich gedeckt.
In diesem Jahr übrigens fallen das jüdische
Chanukkah-Fest und das Christliche Weihnachtsfest wieder einmal
zusammen. Dass dies nicht in jedem Jahr so ist, liegt in dem
Umstand begründet, dass sich die jüdischen Festtage am jüdischen
Kalender orientieren. Dieser ist ein Lunisolar-Kalender, das heißt,
er richtet sich nach dem Lauf von Mond und Sonne. Chanukkah wird
stets am Vorabend des 25. des Monats Kislew - in diesem Jahr am 21.
Dezember - gefeiert - im 5772. Jahr jüdischer Zeitrechnung.
Der SPEYER-KURIER ruft deshalb heute - am
Vorabend 25. Kislew 5772 - allen Mitbürgern jüdischen Glaubens für
die nächsten acht Tage ein “Hag Hanukah sameah”, ein
“Schönes Chanukkah-Fest” zu.
19.12.2011
Einigkeit oder nur ein Burgfrieden - “Beith Shalom” nicht für alle Juden offen?
Gedanken von Gerhard Cantzler
“Beith Schalom” - das “Haus des Friedens” - die
neue Speyerer Synagoge hat unter überwältigender Anteilnahme der
Speyerer Bevölkerung ihren so wichtigen Dienst in der Stadt
aufgenommen - das Judentum ist im öffentlichen Bewusstsein der
Stadt und ihrer Bürger wieder angekommen. Das wurde auch bei den
die Einweihung begleitenden Jüdischen Kulturtagen deutlich. Keine
Veranstaltung, die nicht überwältigende Besucherzahlen vermelden
konnte - am “Tag der Offenen Tür” übertraf der Andrang auch die
kühnsten Erwartungen. Und auch am letzten Abend der Reihe, als
“Rosenthal und friends” aus Berlin zu Gast waren, da feierten Juden
und Nichtjuden ausgelassen und fröhlich und vor allem gemeinsam die
neue jüdische “Zeitrechnung” in der Stadt. Das ist gut so und muss
alle Menschen guten Willens freuen!
Aber halt: Was man in diesen Tagen vermisste, waren
die Angehörigen der gut 120 Mitglieder zählenden “Jüdischen
Gemeinde Speyer e.V.”, für die doch einmal diese Synagoge
eigentlich gebaut werden sollte. Zumindest war dies die feste
Überzeugung des früheren Präsidenten des Zentralrates der Juden in
Deutschland, des unvergessenen Ignatz Bubis, die er dem Verfasser
dieser Gedanken bei einem zufälligen Zusammentreffen auf einem Flug
von Berlin nach Frankfurt/Main offenbarte. Er sah in dem Projekt
einer Speyerer Synagoge vor allem den Ort, in dem die aus Osteuropa
zugewanderten Juden in der Aera nach 1990 ihren Glauben leben, in
dem sie aber vor allem auch ihren Glauben überhaupt erst einmal
richtig kennen lernen und begreifen sollten, denn in der ehemaligen
Sowjetunion war ihnen dies in der Öffentlichkeit verwehrt.
Bubis erster Ansprechpartner für die Speyerer Juden
- so berichtete er damals - sei Schmuel Tepman gewesen, der 1996
gemeinsam mit Gleichgesinnten die “Jüdische Gemeinde Speyer e.V.”
gründete und der als erster Vorsitzender dieser als “e.V.”
konstituierten Gemeinde die Errichtung einer eigenen Synagoge als
oberstes Ziel postulierte. Diese Absicht wollte Bubis und wollte
der Zentralrat mit allen Kräften unterstützen.
Dass nun nicht einmal ein Vertreter dieser
“Jüdischen Gemeinde Speyer e.V” zu der Einweihungsfeier eingeladen
war, ja, dass - wie man hört - an diesem Tag sogar ihr langjähriger
Rabbiner Mendel Gurewitsch, der vor zwei Jahren noch den Grundstein
für die neue Synagoge gelegt hatte, aus dem Haus gewiesen wurde,
ist - gelinde gesagt - irritierend.
Nachdem die Synagoge zu ganz überwiegendem Teil mit
öffentlichen Geldern gebaut wurde - und jeder Euro für dieses
Projekt, das sei ausdrücklich betont, ist gut und richtig
eingesetzt! - sollte man sich jetzt doch Gedanken darüber machen,
wie man künftig sicherstellen kann, dass alle jüdischen Menschen in
der Stadt ihren Glauben nach ihren Überzeugungen und ihren
Grundsätzen leben können.
Das sind wir dem Andenken des seligen Ignatz Bubis
ebenso schuldig wie der Einheit des neu erblühenden Judentums in
der Stadt.
Und noch eines: Dass es der “Jüdischen Gemeinde
Speyer e.V.” nicht um “Streit um des Kaisers Bart” geht, mag die
Tatsache belegen, dass sie im Umfeld der Einweihung der Synagoge
auf Protest-Kundgebungen gegen die ihrer Meinung nach unwürdige
Behandlung verzichtete - obwohl sie dazu aus den eigenen Reihen
ebenso wie aus der Bevölkerung nachdrücklich ermutigt worden
war.
Beith Schalom - Neue Synagoge jetzt auch bei den Speyerern angekommen
cr.
Speyer. Die neue Speyerer Synagoge “Beith Shalom”- “Haus des
Friedens” - sie ist jetzt auch bei den Menschen in der Stadt
angekommen. Bei strahlendem Herbstwetter standen mehr als 6.000
Besucher geduldig an, stauten sich die Treppe vom
St.-Guido-Stifts-Platz empor, um dann im Inneren der Synagoge dem
Vortrag von Kantor Guido Shamir zu lauschen, der gemeinsam mit
Daniel Nemirovsky die gespannten Besucher in den Ablauf der
jüdischen Liturgie einzuführen bemüht war.
Als erstes wies Shamir darauf hin, dass es Männern
im Judentum nicht erlaubt sei, die Synagoge barhäuptig zu betreten.
Den Besuchern, die das vorher nicht wussten, überreichte er eine
Kippa, um sich dann dem Zentrum des Synagogenraumes dem Schrein für
die Thorarollen zuzuwenden. “Die Wahrheit ruht in der Erde - die
Gerechtigkeit kommt vom Himmel”, zitierte er die in hebräischen
Buchstaben abgefasste Inschrift auf dem Thoraschrein und erklärte
danach die Inschrift auf der nach außen gewandten Seite des
Schreins, auf der jeweils die ersten beiden Buchstaben der zehn
Gebote vermerkt sind. “Die zehn Gebote, so wie sie auch die
Christen kennen - und hoffentlich auch danach leben”, fügte der
Kantor beziehungsreich hinzu.
Die Thora ist
die Heilige Schrift der Juden, erklärte Shamir und höchst aufwendig
gearbeitet. Gut ein Jahr veranschlagen Experten die Arbeitszeit, um
mit dem Federkiel die auf Kalbsleder geschriebenen Texte
aufzubringen. 52 Strophen zu je sieben Zeilen umfasst der Inhalt
einer Thorarolle - je eine Strophe pro Woche und 1 Zeile pro Tag.
Aufgeschrieben sind in dem Heiligen Buch die fünf Bücher Moses -
der Pentateuch. Gelesen werden die Texte ausschließlich von
ausgewählten Männern, die umschichtig diese Ehrenpflicht erfüllen.
Die Thorarollen sind bekrönt von kostbaren Rimonim, silbernen
Krönchen, die dazu beitragen, neben der religiösen Bedeutung auch
den materiellen Wert einer Thorarolle zu bestimmen. Auf 20.000 bis
25.000 Euro schätzt Kantor Shamir den Wert der in der Speyerer
Synagoge verwahrten Thorarolle.
Für die zumeist nichtjüdischen Besucher interessant
und höchst wissenswert: Eine fehlerhafte Thora - sei es, dass sich
bereits bei der Herstellung Fehler eingeschlichen haben, sei es,
dass die Rolle aus Altergründen unbrauchbar wird - darf nicht
einfach vernichtet werden. Wie alles, was den Namen Gottes trägt -
auch Bücher und Schriften - müssen sie dann - aus Ehrfurcht vor dem
Schöpfer - auf einem jüdischen Friedhof - neben der Synagoge der
zweite heilige Ort einer jüdischen Gemeinde - begraben werden.
“Judentum hat viel mit Tradition zu tun”, erklärte
Guido Shamir und wies darauf hin, dass - wie in anderen
Religionsgemeinschaften auch - viele Juden nur zu besonderen Festen
die Synagoge besuchen. “Sie kommen dann - zum Beispiel an Jom
Kippur - aus Tradition, nicht aus tiefer Glaubensüberzeugung”.
143 Mitglieder
umfasse die jüdische Gemeinschaft in Speyer derzeit, berichtete der
Kantor auf Nachfragen aus dem Besucherkreis - für 87 gebe es der
Synagoge Sitzplätze. Das heißt, dass an stark frequentierten Tagen
auch einmal der eine oder andere Besucher mit einem Stehplatz
vorlieb nehmen muss.
Nach dieser eindrucksstarken halben Stunde, die bei
späteren Führungen auf fünfzehn Minuten verkürzt werden mußte, um
möglichst viele Besucher an einer solchen Führung teilhaben zu
lassen, konnten sich die Gäste bei kleinen Kostproben koscherer
jüdischer Speisen noch in den weiteren Räumen des neuen
Gemeindezentrums umsehen, das Daniel Nemirovsky und seine
Mitstreiter auch zukünftig in die Mitte des Speyerer kulturellen
Lebens gestellt sehen möchten.
Dass dies wohl
auch die Intention der Speyerer trifft, konnten die Besucher nicht
zuletzt daran erkennen, dass auch Schwestern des Speyerer Klosters
St. Magdalena sich in die lange Warteschlange eingereiht
hatten.
Ein großer Tag für Juden und Nichtjuden in Speyer
war dieser “Tag der Offenen Tür” in der Synagoge “Beith Schalom”
und sicher auch ein Schritt zum besseren gegenseitigen Verstehen
und damit zu einem von gegenseitiger Achtung und Freundschaft
bestimmten gedeihlichen Zusammenleben.Foto: jüs
13.11.2011
Beith Schalom - Heimkehr eines wesentlichen Teils Speyerer Glaubenslebens
Neue Synagoge auf dem Weidenberg in
beeindruckender Zeremonie eingeweiht
von Gerhard Cantzler
Die jüdischen Gelehrten des Mittelalters - sie
hätten sicher ihre Freude gehabt, hätten sie die festliche
Einweihung der neuen Speyerer Synagoge “Beith Schalom” miterleben
können. Neun Ansprachen, Grußadressen und Kurzreferate auf
allerhöchstem Niveau ließen etwas von dem Geist spürbar werden, der
zukünftig “Beith Schalom” erfüllen möge.
Das begann bereits mit der Begrüßung der schier
endlosen Reihe hoher und höchster Gäste, die zu diesem festlichen
Ereignis in die neue Synagoge gekommen waren - lesen Sie dazu auch
die Gästeliste in Auszügen.
Israel Epstein, Vorsitzender der jüdischen
Kultusgemeinde der Rheinpfalz, bedankte sich für die vielfältige
Unterstützung, die der Gemeinde bei der Vorbereitung und der
Bauausführung von so vielen Seiten zuteil geworden sei: Beim Land
Rheinland-Pfalz und der Stadt Speyer, die mit offenen Händen und
weitem Herzen die Maßnahme finanziell gefördert hätten, den beiden
christlichen Kirchen, die mit der von Wolf Spitzer geschaffenen
Menorah, dem traditionellen siebenarmigen Leuchter des Judentums,
ein Zeichen großer Verbundenheit mit der neuen jüdischen Gemeinde
gesetzt hätten. Mit besonderer Dankbarkeit gedachte er des
verstorbenen früheren Geschäftsführers der Jüdischen
Kultusgemeinde, Manfred Erlich, den er - gemeinsam mit
Altoberbürgermeister Werner Schineller - als einen der
Hauptprotagonisten für den Bau dieses Gotteshauses hervorhob. Dem
Vertreter der Unesco, Prof. Dr. Michael Turner, legte Epstein die
Bitte ans Herz, die Aufnahme der SCHUM-Städte Speyer, Worms und
Mainz - die jetzt jede über eine eigene Synagoge verfügten - in die
Liste der Weltkulturerbestätten mit Ernsthaftigkeit zu bedenken.
(Verwunderlich allerdings, dass Ministerpräsident Kurt Beck dann in
seiner Rede trotz dieser “Vorlage” Epsteins von seinem Manuskript
abwich und den Antrag an die Unesco unerwähnt liess).
Christian Wulff: Mazel tov für Speyerer
Juden
Bundespräsident Christian Wulff zeigte sich in
seinen Ausführungen dankbar dafür, dass Juden nach dem Schrecken
des Holocaust wieder nach Deutschland zurückgekehrt seien und den
Menschen in Deutschland die Hand zur Versöhnung gereicht hätten.
“Niemand in Deutschland hatte und hat darauf bis heute einen
Anspruch”, betonte Wulff und führte als Beispiel für diese Haltung
die 90jährige Margot Friedländer an, die er just an diesem Tage in
Berlin mit dem Bundesverdienstkreuz dafür habe auszeichnen dürfen,
dass sie in unermüdlichen Diskussionen gerade mit jungen Menschen
“bedrückende Rückschau und den ermutigenden Blick in die Zukunft”
im Sinne der Aussöhnung von Deutschen und Juden immer wieder
zusammenführe. Frau Friedländer, die ihre gesamte Familie in
Auschwitz verlor und selbst den Krieg - von guten Freunden
versteckt - in Berlin überlebte, stehe, so Wulff, für beides: Für
die Erinnerung an das Grauen des Holocaust und für die Fähigkeit
zur Vergebung und zur Versöhnung.
Der Bundespräsident erinnerte aber auch an den
hohen Rang Speyers und seiner jüdischen Mitbürger für die deutsche
Geschichte sowie an die jüdischen Beiträge zur gemeinsamen Kultur.
“Hier steht nun diese junge Gemeinde mit vielen Mitgliedern aus
Osteuropa, vor allem aus Russland”, führte Wulff aus, “ein Ort der
Integration und des intensiven Austausches”, für die er den Juden
in Speyer mit dem alten jüdischen Segensgruß “Mazel tov” Glück und
Erfolg wünschte.
Jüdisches Leben wieder erfahrbar machen
Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt
Beck gab in seiner Grußadresse seiner Hoffnung Ausdruck, dass
jüdisches Leben in unserer Gesellschaft wieder stärker erfahrbar
und erlebbar werde. “Wir wollen an die guten Zeiten anknüpfen”,
rief Beck aus, “dürfen darüber aber nichts vergessen und nichts
verdrängen. Dafür müssen wir uns gegen alles wenden, was den
Ungeist vergangener Zeiten wieder in unsere Gesellschaft tragen
könnte”. Beck kündigte an, dass das Landeskabinett schon in den
nächsten Monaten einen neuen Staatsvertrag verbschieden werde, der
die Zusammenarbeit mit den jüdischen Kultusgemeinden auf eine neue
rechtliche Grundlage stellen werde.
Chance für interreligiösen Austausch zwischen
vier Religionen lebhaft nutzen
Oberbürgermeister Hansjörg Eger wies in seinen
Ausführungen auf die reiche Vergangenheit des Ortes hin, an dem
jetzt die neue Synagoge entstanden ist. Im 11. Jahrhundert habe
Bischof Rüdiger Hutzmann die Juden nördlich der Innenstadt in der
Vorstadt Altspeyer angesiedelt “dort, wo sich jetzt der
Adenauer-Park ausbreitet, in direkter Nachbarschaft also zu dem
neuen jüdischen Gotteshaus”. Dass die Jüdische Kultusgemeinde
unserer Tage ganz in die Nähe der ursprünglichen Ansiedlung
jüdischer Mitbürger zurückkehre und zudem auch noch auf ein Areal,
auf dem einst das ehemalige Konviktsstift St. Johannes und St.
Guido seinen Platz gehabt habe, sei ebenfalls höchst
bemerkenswert.
“Mit der neuen Synagoge kehrt die Jüdische Gemeinde
sichtbar zurück nach Speyer”, stellte Eger fest,”ich sehe darin die
große Chance, in der damals wie heute weltoffenen “freien
Reichsstadt Speyer” den konstruktiven Dialog mit der Bürgerschaft,
den beiden großen christlichen Konfessionen sowie der jüdischen und
der muslimischen Bevölkerung zu entwickeln”. An die Speyerer
appellierte Eger, dieses für eine Stadt in der Größe Speyers
einmalige Angebot “lebhaft zu nutzen”.
Speyer - Bis heute Bezugspunkt für
ashkenasisches Judentum
Als Repräsentant des Staates Israel und in
Vertretung des israelischen Botschafters in Berlin war
Generalkonsul Tibor Shalev-Schlosser zu der Weihefeier gekommen.
Auch er erinnerte an die reiche Vergangenheit Speyers als einem
jüdischen Gelehrtenzentrum, auf das sich das ashkenasische Judentum
bis heute beziehe. Auch wenn an diesem Tag die Erinnerungen zu den
Pogromen zurückgingen, die den Übergang von der Diskriminierung der
Juden in Deutschland hin zu ihrer systematischen Verfolgung und
schließlich ihrer Ausrottung markierten, so könne er doch
feststellen, dass es sein Volk trotz der Vernichtung von gut einem
Drittel aller Juden in der Welt geschafft habe, den Staat Israel
aufzubauen. Deutschland habe die Verantwortung für die
Vergangenheit übernommen, stellte Schlosser fest. Auch wenn die
Grundlage dieser Beziehung auf der besonderen gemeinsamen
Vergangenheit liege, so sei Deutschland heute doch zum wichtigsten
europäischen Partner Israels geworden.
Was ihn aber gerade heute bedrücke, sei die
Tatsache, dass in vielen Ländern der Welt heute wieder
Antisemitismus und Intoleranz aufblühten. In diesem Zusammenhang
erinnerte er an die Vernichtungs-Phantasien des Iran und seines
Staatspräsidenten Ahmadinedschad gegen den Staat Israel, dem es
kraftvoll entgegenzutreten gelte. “Ein wesentliches Mittel dazu ist
das gegenseitige Kennenlernen von Geschichte und Kultur”, betonte
der Diplomat, der den besten Weg hierzu in dem Zusammenwirken mit
Kindern und Jugendlichen sieht.
Synagoge zur Verewigung des Judentums
Zum Jugendaustausch als bestem Mittel der
Verständigung bekannte sich auch Rabbiner Pinchas Goldschmidt,
Präsident der Konferenz Europäischer Rabbiner CER. Auch er ging auf
die Jahrhunderte lange Tradition der jüdischen Gemeinden am Rhein
ein, die bis heute als Geburtsstätte des ashkenasischen Judentums
gelten. “Speyer und die Region sind in der Liturgie des Judentums
bis heute verwurzelt”, betonte Rabbi Goldschmidt, der darauf
hinwies, dass der jüdische Name “Shapiro”, bis heute weit
verbreiteter jüdischer Familienname, nichts anderes bezeichne als
die Herkunft aus Speyer. “In der Liturgie gedenken alle
ashkenasischen Juden bis heute der Pogrome von 1096 in Speyer,
Worms und Mainz in einem eigenen Klagelied. Die Erinnerung an zehn
ermordete Juden in Speyer ist noch heute weiter verbreitet als das
Klagelied über den Holocaust”. Von daher sei es wichtig gewesen,
gerade in Speyer eine neue Synagoge zu bauen, denn sie stehe für
die Verewigung des Judentums. Und er forderte die verstärkte
Ausbildung von neuen Rabbinern in Deutschland, um so die aus
Osteuropa zugewanderten Juden, die bis zu ihrer Übersiedlung nach
Deutschland keine Kenntnisse über ihre Religion hatten, zu
unterrichten. “Wenn wir das beherzigen”, so schloss der Rabbiner,
“dann wird die Geschichte auch für die Juden in Speyer und in
Deutschland ein weiteres Kapitel bereit halten”.
Christliche Kirchen wollen das Gemeinsame
betonen - nicht das Trennende
Für die Katholischen Christen überbrachte Bischof
Dr. Karl-Heinz Wiesemann Glückwünsche zu dem neuen Gotteshaus. Auch
er erinnerte an die lange gemeinsame Geschichte von Christen und
Juden in Speyer und daran, dass die neue Synagoge auf dem Boden
einer ehemaligen katholischen Kirche entstanden sei. “Beith Shalom”
- dieser Name sei ein Programm, so der Bischof, das die Christen
aus ganzem Herzen unterstützen wollten.
Das unterstrich auch der Kirchenpräsident der
Pfälzischen Landeskirche, Christian Schad. Er bekannte sich zu den
unterschiedlichen Sichtweisen von Juden und Christen über die
Messianität Jesu Christi. “Doch diese Trennung im Glauben hätte nie
zu einem Antijudaismus führen dürfen”, betonte der
Kirchenpräsident. “Bekennen wir doch als Kirche, dass Gott in Jesus
von Nazareth nicht nur Mensch, sondern auch Jude wurde”. Er
erinnerte an ein Wort von Martin Buber, der immer das Gemeinsame
von Christen und Juden hervorgehoben habe und nicht das Trennende.
Für die neue Synagoge wünschte sich Schad, “dass wir miteinander
gedenken, dass wir miteinander feiern, den Dialog intensivieren und
die Versöhnungsarbeit weiterführen.
Prof. Jacoby: Wahrheit und Gerechtigkeit für
Juden wieder zurück
Das “vorletzte” Wort in dieser Feierstunde hatte
Prof. Alfred Jacoby, der Architekt der neuen Synagoge, der die
Inschrift auf dem Thora-Rollen-Schrein aus dem Hebräischen
übersetzte: Die Wahrheit entsprießt dem Boden - Gerechtigkeit
blickt vom Himmel, steht dort in großen Lettern geschrieben. Nach
den dunklen Jahren des Nationalsozialismus gebe es heute für Juden
in Deutschland wieder beides: Wahrheit und Gerechtigkeit,
konstatierte Prof. Jacoby. Er stellte die neue Synagoge, deren
liturgisch-architektonisches Programm er im Laufe der
bevorstehenden Jüdischen Kulturtage noch eingehend erläutern wird,
in einen Zusammenhang mit dem Kaiserdom und der benachbarten
Friedenskirche St. Bernhard. Danach überreichte er den Schlüssel
des Gotteshauses an den Vorsitzenden der Kultusgemeinde
Rheinpfalz,
Und das “letzte” Wort hatte dann natürlich der
Psalmist: Kantor Guido Shamir führte unter Psalmodieren die
Thorarollen-Prozession an, die von einem Synagogalchor unter der
Leitung von Alexander Serebryanik begleitet wurde, dem sich auch
Gedächtniskirchenkantor Robert Sattelberger angeschlossen
hatte.
Nach Gebeten und Lesungen aus dem Buch der Psalmen
wurden die Thora-Rollen in dem Thoraschrank verbacht, um sie dort
bis zum nächsten Schabbat zu verwahren.
Die Einweihungsfeier wurde musikalisch von David
Serebryanik, Klavier und Philipp von Piechowski, Violine umrahmt.
Piechowski hatte zur Erinnerung an den 9. November 1938 ein
“Klagelied für Geige Solo” komponiert - eine zutiefst
beeindruckende musikalische Meditation, die das Grauen jener Nacht
noch einmal in den Teilnehmern an der Feierstunde Ahnung werden
ließ.
Ein kleiner Empfang mit koscherem Wein und kleinen
Häppchen gab den zahlreichen Gästen Gelegenheit, die Eindrücke
dieser bewegenden Feier noch weiter zu verarbeiten. Foto:
Kienipress und Voss-View / © Staatskanzlei
10.11.2011
Liste der Teilnehmer an dem Festakt zur Einweihung der Synagoge “Beith Schalom” (Auszug)
Christian Wulff, Bundespräsident
der Bundesrepublik Deutschland
Joachim Mertens MdL, Präsident des
Landtages von Rheinland-Pfalz
Kurt Beck MdL, Ministerpräsident
von Rheinland-Pfalz
Doris Ahnen MdL, Staatsministerin
für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur des Landes
Rheinland-Pfalz
Jochen Hartloff MdL Staatsminister
für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz
Norbert Schindler MdB Mitglied des
Deutschen Bundestages
Julia Klöckner MdL Mitglied des
Landtages von Rheinland-Pfalz, Vorsitzende der CDU-Fraktion
Friederike Ebli MdL Mitglied des
Landtages von Rheinland-Pfalz
Dr. Axel Wilke MdL Mitglied des
Landtages von Rheinland-Pfalz
Daniel Köbler MdL Mitglied des
Landtages von Rheinland-Pfalz, Vorsitzender der Fraktion die
Grünen
Dr. Klaus P. Behnke Präsident des
Landesrechnungshofes von Rheinland-Pfalz
Jens Beutel Oberbürgermeister von
Mainz
Michael Kissel Oberbürgermeister
von Worms
Hansjörg Eger Oberbürgermeister
von Speyer
Tibor Shalev-Schlosser
Generalkonsul von Israel
Prof. Dr. Michael Turner
Unesco-Kommission Paris
Rabb. Pinkas Goldschmidt Präsident
der Konferenz Europäischer Rabbiner CER
Dr. Karl-Heinz Wiesemann Bischof
von Speyer
Christian Schad Präsident der
Protestantischen Landeskirche der Pfalz
Iman Halil Gülalp Islamische
Gemeinde Speyer
Peter Waldmann Vorsitzender des
Verbandes der Jüdischen Gemeinden In Rheinland-Pfalz
Prof. Dr. Bernhard Vogel
Ministerpräsident a.D. von Rheinland-Pfalz u. Thüringen
Werner Schineller
Oberbürgermeister a.D. von Speyer
Frau Alica Erlich
10.11.2011
Der 9. November - Schicksalstag der Deutschen oder Zufall der Geschichte?
von Gerhard Cantzler
Wohl kaum ein anderer Tag im Kreislauf des Jahres
ist so mit historischen Ereignissen befrachtet wie jener ominöse
“9. November” im Leben der Deutschen - im Guten wie im Bösen:
Am 9. November 1918 endete das deutsche
Kaiserreich - Kaiser Wilhelm II. dankte ab und noch am gleichen Tag
proklamierte der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann die deutsche
Republik und machte so den Weg frei für die Weimarer Republik -
eine Zeit unsäglicher politischer Irrungen begann, die letztlich
den Nationalsozialisten die Okkupierung der Macht ermöglichten.
Am 9. November 1923 versuchte Adolf Hitler
dann, die Weimarer Republik zu stürzen, indem er mit mehren tausend
Gefolgsleuten durch München zog, um von dort aus den Sturm auf das
Berliner Parlament anzutreten. Doch schon an der Feldherrnhalle
endete dieser “dilettantische Versuch eines Umsturzes” - wie
Historiker ihn später beschreiben - ein letztes Mal noch - denn
Am 9. November 1938 - Hitler war schon im
fünften Jahr Reichskanzler und hatte seine von Willkür und
Machtmissbrauch gekennzeichnete Herrschaft längst zementiert - da
konnte er in der Reichspogromnacht seine von langer Hand geplanten
brutalen Übergriffe auf die Juden in Deutschland erstmals ungetarnt
und ungeschminkt in die Öffentlichkeit tragen - aus ihnen sollte
dann die Vernichtung der Juden in Deutschland und in ganz Europa
entspringen.
Der 9. November, ein Tag also, belastet mit
den schlimmsten Verfehlungen und Gräueln, denen sich ein Volk in
der Menschheitsgeschichte jemals zuvor schuldig gemacht hatte.
Höchste Zeit, dass das Pendel der Gefühle rund um diesen “9.
November” endlich ins Gute umschlug:
Am 9. November 1989 war es soweit: Mit
friedlichen Mitteln - mit Gottesdiensten und mit Kerzen in den
Händen - überwanden die Menschen in der DDR Mauer und Grenzanlagen
in Deutschland, fegten ein anderes, ein “rotes” Willkür-System
beiseite und bahnten so den Weg für die Wiedervereinigung des seit
dem Ende des von uns Deutschen verursachten Zweiten Weltkrieges
geteilten Volkes. Ein unbeschreibliches, ein vielleicht auch
unverdientes Glück, das bis heute anhält...
Und jetzt,
Am 9. November 2011 ist mit der Einweihung
der neuen Speyerer Synagoge ein neues Glück über die Deutschen und
im besonderen über die Menschen in Speyer gekommen: Sie erhielten
etwas zurück, was sie auf den Tag genau vor 73 Jahren verloren
hatten - den Humanismus und die Toleranz gegenüber einer Religion,
deren Anhänger Papst Johannes Paul II. als “die älteren Brüder der
Christen” bezeichnete und deren neues Gotteshaus in Speyer
Bundespräsident Christian Wulff in seiner Rede als “die Verheißung
einer neuen und dauerhaften Präsenz jüdischen Lebens in Speyer und
in ganz Deutschland” umschrieb.
Die Geschichte der Deutschen und ihrer “9.
November” hat es augenfällig gezeigt: Immer, wenn die Ziele dieses
Tages mit Gewalt verfolgt wurden, gerieten sie den Völkern der Welt
zum Unglück - immer, wenn sie dagegen mit friedlichen Mitteln, mit
Toleranz und Brüderlichkeit angegangen wurden, gereichten sie den
Deutschen und ihren Nachbarn zum Glück. Möge uns und unseren
Kindern deshalb die Zukunft nur noch zum Frieden und damit zum
Glück bestimmte “9. November” bereithalten.
Das gewähre uns allen der eine Gott, der ebenso der
Gott der Juden und der Christen - und - nicht zu vergessen - auch
der Muslime ist.
Den jüdischen Mitbürgern in unserer Stadt und der
neuen Synagoge “Beith-Schalom” deshalb ein herzliches “Mazel tov” -
“Willkommen daheim”
10.11.2011
Jack Mayer - Zeitzeuge der frühen Nazizeit und Botschafter der Versöhnung
cr. Speyer. Er
ist einer der letzten Überlebenden der Judenverfolgungen in der
Zeit des Nationalsozialismus, die in der Reichspogromnacht heute
vor 73 Jahren einen vorläufigen Höhepunkt finden sollte - und er
ist der einzige, der die Kraft dazu fand, das sich selbst gegebene
Versprechen, bei der Einweihung einer neuen Synagoge in seiner
alten Heimatstadt dabei zu sein, heute einlösen konnte: Jack Mayer,
1930 als Hans-Joachim Mayer - zweiter Sohn von Alfred und Else
Mayer in Speyer geboren und in dem elterlichen Haus in der
Maximilianstraße 47 - heute Commerzbank - nur einen Steinwurf weit
entfernt von der alten Synagoge, aufgewachsen.
Nur gut zwei Stunden vor der feierlichen Einweihung
des neuen jüdischen Gotteshauses traf der inzwischen 80jährige Jack
Mayer, gemeinsam mit seiner Ehefrau Irma, sichtlich bewegt, im
Stadthaus mit Oberbürgermeister Hansjörg Eger zusammen.
Jack Mayer
erinnert sich noch gut an seine Kindertage in Speyer, die zugleich
zu den Anfangsjahren des Nazi-Terrors werden sollten: Oft genug
“erwischte” sein Vater den kleinen Hans-Joachim, wie er - in
Unkenntnis der wahren Zusammenhänge und der sich immer deutlicher
abzeichnenden Ziele der Nazis - den an dem elterlichen
Schuhgeschäft vorbei ziehenden Sturmtrupps von SA und SS - wie die
meisten Speyerer Bürger - zujubeln wollte, was ihm sein jüdischer
Vater natürlich eindringlich verbot.
Als dann am 9. November 1938 auch in Speyer die
Synagoge brannte und die Scheiben der jüdischen Geschäfte in der
Stadt zerbarsten, da war Jack Mayer bereits in die USA geflohen. Im
Frühjahr 1938 folgte er nämlich gemeinsam mit seiner Mutter und
seinem älteren Bruder Bernhard dem Vater, der schon zuvor Haus und
Geschäft in der Speyerer Hauptstraße verkauft hatte, um aus dem
Erlös die von einem Onkel in Ohio vorbereitete Übersiedelung der
Familie “in die Staaten” finanzieren zu können.
Noch heute lebt Jack Mayer gemeinsam mit seiner
Frau in den USA. Als Direktor einer Produktionsstätte des USA-weit
vertretenen Textilkonzerns “Angelica”- einem international
bekannten Hersteller von Berufskleidung - gelangte er in Lorain,
Ohio, zu hohem Ansehen. So engagiert er sich bis zuletzt für das
Holocaust-Museum in St. Petersburg in Florida, wo das Ehepaar
inzwischen seinen Alterssitz genommen hat. Dort setzt er sich mit
Vorträgen und Diskussionen mit Schülern und Studenten unermüdlich
für die Versöhnung von Juden und Deutschen ein.
Und auch der Kontakt
in seine Geburtsstadt Speyer ist nie wirklich abgerissen. “Speyer
ist und bleibt meine Heimat”, bekennt Mayer, “das wird sich auch
nie ändern”. Immer wieder - zuletzt im Jahr 2007 - war das Ehepaar
Mayer hierher gereist, hatte sich auf die Spuren der über die
gesamte Vorderpfalz verstreuten Vorfahren gesetzt - Mayers Mutter
stammte aus Niederhochstadt, der Vater war in Schifferstadt
geboren, von wo aus er nach der Teilnahme am Ersten Weltkrieg und
Auszeichnung mit dem Eisernen Kreuz nach Speyer übersiedelte, um
hier ein Schuhgeschäft zu eröffnen.
Bei dem Besuch im Jahr 2007 war es auch, als
Oberbürgermeister Werner Schineller Jack Mayer zum ersten Mal das
Modell einer neuen Synagoge auf dem Weidenberg vorstellte. Zusammen
hätten sie damals davor gesessen und sich ausgemalt, wie dieses
Haus erst aussehen werde, wenn es einmal fertig ist, erinnert sich
Mayer. “Damals habe ich beschlossen, dabei zu sein, wenn diese neue
Synagoge eingeweiht wird”, bekennt er.
Auch die drei Töchter des Ehepaares - eine davon
selbst mit einem Rabbiner verheiratet - waren schon in der Domstadt
zu Gast, “auf der Suche nach den Wurzeln der Familie”, wie Mayer
selbst es einmal ausgedrückt hat.
Welche Erinnerungen verbindet Jack Mayer mit dem
Speyer der Dreißiger Jahre? “Nur die allerbesten”, antwortet er,
“ich hatte als Kind viele, viele Freunde hier, mit denen ich nach
dem Krieg wieder Kontakt suchte. Aber die meisten sind inzwischen
leider verstorben”. Mit einem dieser Freunde hat er allerdings bis
heute Kontakt - mit Alfred Cahn, dem letzten Organisten an der
Speyerer Synagoge vor 1938, der wie er selbst vor den Nazis in die
Vereinigten Staaten emigrierte. Von ihm dürfe er herzliche Grüße
und Segenswünsche übermitteln, freut sich der rüstige 80jährige,
dem man sein Alter in keinem Moment anmerkt. “Auch er wäre gerne
zur Synagogenweihe nach Speyer gekommen, aber mit über 90 Jahren
lässt seine Gesundheit so weite Reisen halt nicht mehr zu”,
bedauert Mayer.
Noch zehn
Überlebende der Nazizeit habe die Stadtverwaltung zu diesem
bedeutenden Tag eingeladen - leider habe sich nur Jack Mayer in der
Lage gesehen, dieser Einladung zu folgen, berichtete der Sprecher
der Stadtverwaltung, Dr. Matthias Nowack, der seitens der Stadt für
die Vorbereitung der Festlichkeiten zuständig war. “Und beinahe
hätten auch wir nicht zugesagt”, ergänzt Jack Mayer lachend, “denn
als die Einladung bei uns eintraf, waren wir gerade zu einem
längeren Besuch bei einer unserer Töchter. Als wir dann zurück
kamen, fanden wir die Einladung aus Speyer und haben uns sofort
entschlossen, nach Speyer zu fahren”.
Dem Tag der Synagogenweihe habe er allerdings schon
mit großer Aufregung entgegen gesehen “denn wenn man sein ganzes
Leben lang mit der Synagoge gelebt hat, dann ist die Weihe einer
neuen in der Stadt, in der man als Kind die Gottesdienste miterlebt
und wo man die Sonntagsschule besucht hat, schon etwas ganz
besonderes. Dass ich das noch erleben darf, dafür bin ich heute
ganz besonders dankbar”, ergänzte Mayer, ehe er sich gemeinsam mit
seiner Ehefrau Irma und OB Hansjörg Eger aufmachte, um am
Schweigemarsch zur Erinnerung an den 9. November 1938 vom Alten
Marktplatz zum Gedenkstein in der Hellergasse teilzunehmen.
Foto: Kienipress
10.11.2011
Gedenkfeier für ermordete Speyerer Juden
jüs
Speyer. An die Reichsprogromnacht vom 9. November 1938
und an die ermordeten Speyerer Juden soll er gedenken, der Marsch
vom Brunnen an der alten Münze zum Mahnmal in der Heilergasse
hinter dem heutigen Kaufhof. Dort stand bis vor 73 Jahren die alte
Synagoge, an die heute ein Gedenkstein erinnert. Zahlreiche Bürger
aus Speyer und Umgebung nahmen auch dieses Jahr wieder an dem
Gedenkmarsch teil, den der DGB, die jüdische Kultusgemeinde und die
Stadt traditionell am 9. November veranstalten.
Als besonderer
Gast konnten die Veranstalter Jack Mayer und seine Frau aus Florida
begrüßen, Mayer ging in seiner Jugend als Schüler in die alte
Speyerer Synagoge, die damals ihren Standort an der
Heydenreichstraße (heute: Kaufhof) hatte. Nach der
Reichsprogromnacht floh er 1938 mit seiner Familie ins
Ausland und emigrierte in die USA. Für den heute 80-jährigen Jack
Mayer war der Besuch in der Stadt seiner Jugend ein bewegendes
Ereignis. Im Anschluss an die Gedenkfeier nahmen er und zahlreiche
Honoratioren an der Einweihung der neuen Speyerer Synagoge "Beit
Schalom" (Haus des Friedens) teil. Alle Fotos. jüs
10.11.2011
„Ein wunderbares Zeichen der Versöhnung und Hoffnung“
Heute, am 9. November 2011 wird in Speyer die neue Synagoge
eröffnet
Speyer- Genau 73 Jahre nach der Zerstörung
der früheren Speyerer Synagoge in der Reichspogromnacht 1938 erhält
die Domstadt am 09. November wieder ein repräsentatives jüdisches
Gebetshaus. Die neue Synagoge, eine umgebaute ehemalige katholische
Kirche, wird am Mittwoch in Anwesenheit von Bundespräsident
Christian Wulf und dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten
Kurt Beck eröffnet. Auch Bischof Karl-Heinz Wiesemann, der
Kirchenpräsident der Evangelischen Kirche der Pfalz, Christian
Schad, und der Generalsekretär des Zentralrates der Juden in
Deutschland, Stephan Kramer, nehmen an der Feier teil. Als Zeichen
der Verbundenheit schenken die protestantischen und katholischen
Kirchengemeinden Speyers zusammen mit Bistum und Landeskirche der
jüdischen Gemeinde eine Menora, einen siebenarmigen Leuchter, für
die neue Synagoge.
Für Bischof Wiesemann ist die neue Synagoge „ein Grund zu
großer Freude und ein wunderbares Zeichen der Versöhnung und
Hoffnung“. Über Jahrhunderte hinweg sei die Geschichte der
Stadt auch von einer jüdischen Gemeinde geprägt gewesen. Dass 1938
die damalige Synagoge von den Nazihorden dem Erdboden gleich
gemacht und in der Folge mit dem Holocoust die jüdische Gemeinde
ausgelöscht worden sei, bleibe „ein verbrecherischer Schandfleck in
unserer Geschichte“. Papst Johannes Paul II. habe die Juden als
„unsere älteren Brüder im Glauben“ bezeichnet. „Ein schöneres
Symbol dafür kann es nicht geben, als dass eine ehemalige
katholische Kirche nun zur Synagoge und damit zum neuen Zentrum des
wieder aufblühenden jüdischen Lebens in Speyer wird“, so Bischof
Wiesemann.
Geschichtsträchtiger Ort
Der Platz, auf dem das neue Gebetshaus steht, hat eine große
historische Vergangenheit. Im Mittelalter befand sich an diesem Ort
eines der vier großen geistlichen Stifte der Stadt Speyer;
jahrhundertelang wurden hier Reliquien des heiligen Guido von
Pomposa verehrt. Im vergangenen Jahrhundert erhielten Patres des
Spiritanerordens im Konvikt St. Guido ihre Ausbildung für den
missionarischen Einsatz in aller Welt. Deren 1935 eingeweihte
Kirche St. Guido wurde 1991 geschlossen, als ausbleibender
Ordensnachwuchs die Patres zur Aufgabe ihres Missionshauses zwang.
Der Grundstein für die neue dreigeschossige Synagoge wurde genau
vor drei Jahren, am 9. November 2008, und damit 70 Jahre nach der
Zerstörung der alten gelegt. Der Frankfurter Architekt Alfred
Jacoby, ein Spezialist für Synagogenbauten, integrierte die
Sankt-Guido-Kirche von 1935 ebenso in das Baukonzept wie die
Fundamente der mittelalterlichen Stiftskirche. Bischöfliches
Ordenariat Speyer, Pressestelle
09.11.2011
9. November 2011 - Tag des Gedenkens und der Hoffnung auf eine gute Zukunft
Gedanken
zum 73. Jahrestag der Zerstörung der Speyerer Synagoge
von Gerhard Cantzler
Der 9. November 1938 - er war, wie in diesem Jahr,
ein Mittwoch, und die Temperaturen waren, wie in diesem Jahr, im
Vergleich zum langjährigen Mittel, deutlich zu hoch - um fast vier
Grad. Deutschland blickte bereits auf fünf Jahre
Nationalsozialismus zurück, eine Zeit, in der der Druck auf den
jüdischen Teil der Bevölkerung kontinuierlich zugenommen hatte. Wie
überall im Lande, verspürten auch die Juden in Speyer eine
zunehmende Unsicherheit. Das Judentum in der Stadt, dessen
Geschichte bis in das 11. Jahrhundert zurückreichte und das im
Mittelalter als “Zentrum jüdischer Gelehrsamkeit” gemeinsam mit
Mainz und Worms als SCHUM-Städte in die ganze, damals bekannte Welt
ausstrahlte, hatte sich nach einem Jahrhunderte währenden Wechsel
aus Erblühen, Pogromen, Vertreibung und Rückkehr im 19. Jahrhundert
gerade wieder stabilisiert. Die Juden in Speyer waren angesehene
Mitbürger und geschätzte Freunde, die entscheidend zur Wohlfahrt
der Stadt beitrugen. Schon im Krieg 1870/71 und dann auch im Ersten
Weltkrieg zogen patriotisch gesinnte Speyerer Juden wie alle
Deutschen hinaus auf die Schlachtfelder und erbrachten einen hohen
Blutzoll.
Um so schlimmer, als in der Folge des Ersten
Weltkrieges, den sich daran anschließenden Wirren der Weimarer
Republik und der Weltwirtschaftskrise in den Zwanziger Jahren sich
der längst überwunden geglaubte Antisemitismus wieder wie ein
Krebsgeschwür in der deutschen Gesellschaft auszubreiten begann.
Hitlers “Machtergreifung” am 30. Januar 1933 - eine Folge zahlloser
Fehleinschätzungen der damals um die politische Macht ringenden
Parteien - markierte dann den dramatischen Umschwung im Verhältnis
der Deutschen zu ihren Mitbürgern jüdischen Glaubens. Gestern noch
hochgeschätzte Nachbarn, stellten sich immer mehr Deutsche gegen
die Juden - die Parolen und Boykotthetze der Nazis wie “Juden raus”
oder “Deutsche kauft nicht bei Juden”, die auch in Speyer an die
Schaufenster jüdischer Geschäfte geschmiert wurden, verfingen auch
in unserer Stadt.
Hellsichtige jüdische Bürgerinnen und Bürger, die
das aufziehende Unheil verspürten, verließen in immer größerer Zahl
die Stadt, die ihnen oft über Generationen zur Heimat geworden war.
Viele wichen zunächst in benachbarte Länder wie Frankreich, Belgien
oder Holland aus in der Hoffnung, dass sich das von ihnen zunächst
mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis genommene Schreckensregime
nicht werde halten können. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass
das Land von Goethe und Schiller, von Beethoven und Johann
Sebastian Bach auf Dauer in einer Judenfeindlichkeit verharren
würde. Sie sollten sich täuschen. Die Übergriffe auf Juden wurden
immer massiver - immer mehr jüdische Menschen kamen auch körperlich
zu Schaden. Die Speyerer Juden zerstreuten sich in alle Welt
Die Nacht vom 9. zum 10. November 1938 markierte
dann den endgültigen Umschwung im Umgang mit den Juden: Der 9.
November verlief wohl noch ruhig, trotz der gespannten Unruhe
rechnete an diesem Tag wohl niemand mit dem unvorstellbaren
Ausbruch an Gewalt, den die Nazis zentral von Berlin aus geplant
hatten. Unter dem Vorwand, “deutsche Volksgenossen wollten
‘spontane’ Rache nehmen für die Erschießung des deutschen
Diplomaten Ernst Eduard von Rath, Sekretär an der Deutschen
Botschaft in Paris”, setzten sie ein Vernichtungswerk von
unglaublichem Ausmaß gegen jüdische Menschen und die jüdische
Kultur in Deutschland in Gang. Angesichts der mit deutscher
Gründlichkeit vorbereiteten und noch in der gleichen Nacht
deutschlandweit ins Rollen gebrachten Gewaltwelle konnte sicher
nicht von “spontanen Übergriffen auf Juden und ihren Besitz” die
Rede sein. Vielmehr war die Planung für die später als
“Reichspogromnacht” in die Geschichtsbücher eingegangene
antisemitische Schreckensnacht schon lange vorher abgeschlossen -
der Anschlag auf Ernst von Rath allenfalls eine willkommene
Gelegenheit für das System, seine “Bluthunde” von der Kette zu
lassen.
Durch entsprechende Fernschreiben aus Berlin
angewiesen zerstörten auch in Speyer Sturmtrupps von SA und SS die
Geschäfte jüdischer Mitbürger und plünderten sie. Auch die Speyerer
Synagoge in der heutigen Heydenreichstraße/Ecke Hellergasse, an die
heute ein Gedenkstein erinnert, wurde von den braunen Schergen
gestürmt, geplündert und danach in Brand gesetzt. Die später
gefundenen Befehle aus Berlin lauteten, dass die Feuerwehr nur zum
Schutz der benachbarten Häuser tätig werden durfte.
Mehr als 1.300 jüdische Menschen verloren in dieser
Nacht in Deutschland ihr Leben, über 1.400 Synagogen und Bethäuser
- mehr als die Hälfte aller jüdischen Gotteshäuser - gingen in
Flammen auf.
Noch 77 Menschen jüdischen Glaubens lebten nach
dieser grauenvollen Nacht in Speyer - mit Ausnahme eines einzigen
verloren sie später in den Vernichtungslagern der Nazi-Diktatur ihr
Leben. Dieser letzte jüdische Mitbürger, Berthold Böttigheimer,
1904 in Speyer geboren, überlebte - von guten Freunden unter
eigener Lebensgefahr verborgen - die Kriegsjahre in Speyer und
verstarb erst 1980 als hoch geachteter Mitbürger in seiner bis
zuletzt über alles geliebten Heimatstadt.
Für Berthold
Böttigheimer wäre es sicher eine große Freude gewesen, wenn er den
Bau und die Einweihung einer neuen Synagoge in seiner Heimatstadt -
73 Jahre nach der ruchlosen Zerstörung der alten - hätte erleben
dürfen, denn sie ist ein Zeichen dafür, dass aus dem von
Böttigheimer über Jahrzehnte treu gehüteten Zweig der Hoffnung auf
eine neue jüdische Gemeinde in Speyer wieder ein starker Baum
wachsen wird.
Zum Gedenken an die Opfer dieser Jahre und als
Zeichen der Hoffnung lesen und beten Sie bitte im folgenden den
Kaddisch, das Tages- und Totengebet der Juden:
Aus dem Gebetsbuch:
Kaddisch - Die Heiligung - haKadisch
Erhoben und geheiligt, sein großer Name, in der
Welt die er erneuern wird.
Uleachaja Metaja, uleasaka jatehon leChajej Alma,
Er belebt die Toten, und führt sie empor zu ewigem Leben,
ulemiwnej Karta di-Jeruschelejm
Er erbaut die Stadt Jiruschalajim
uleschachelala Hejcheleh beGawah,
und errichtet seinen Tempel auf ihren Hoehen,
ulemaeeakar Palchana nucheratah min-Areaa,
Er tilgt die Goetzendienerei von der Erde
welaatawa Palchana di-Schmaja leAtra,
und bringt den Dienst des Himmels wieder an seine Stelle,
wejamlich Kudescha berich hu beMalchuteh Wikareh
und regieren wird der Heilige, gelobt sei er, in seinem Reiche und
in seiner Herrlichkeit,
beChajejchon uweJomejchon
in eurem Leben und in euren Tagen
ubeChajej dechal-Bejt Jiserael
und im Leben des ganzen Hauses Israel
baAgala uwiSeman kariw,
schnell und in naher Zeit,
weimeru Amejn.
Und sprechet: Amejn.
Jehe Schemeh raba mewarach, leAlam
uleAlmej Almaja!
Sein großer Name sei gelobt, in
Ewigkeit und Ewigkeit der Ewigkeiten!
Jitbarach
wejischtabach
Es sei gelobt und
verherrlicht
wejitromam wejitnasej
und erhoben und gefeiert
wejithadar wejitealeh
und hocherhoben und erhoeht
wejitehalal Schemeh deKudescha berich hu,
und gepriesen der Name des Heiligen, gelobt sei er,
leajla min-kal-Birchata weSchirata,
hoch hinaus über jede Lobpreisung und jedes Lied,
Tuschbechata weNechaemata
jede Verherrlichung und jedes Trostwort,
daamiran beAlma,
welche jemals in der Welt gesprochen,
weimeru Amejn.
Und sprechet: Amejn.
Jehi Schem Adonaj Meworach meAtah wead Olam!
Es sei der Name des EWIGEN gelobt, von nun an bis
in Ewigkeit!
Jehe Schelama raba min-Schemaja,
Es sei Fülle des Friedens vom Himmel herab,
weChajim,
und Leben,
alejnu weal-kal-Jiserael,
über uns und über ganz Israel,
weimeru Amejn.
Und sprechet: Amejn.
Aeseri me’im Adonaj, Oseh Schamajim
waArez.
Meine Hilfe kommt vom EWIGEN, dem Schoepfer des Himmels und der
Erde.
Oseh Schalom biMeromaw,
hu jaaeseh Schalom alejnu weal-kal-Jiserael,
Der Frieden schafft in seinen Hoehen,
er schaffe Frieden unter uns und ueber ganz Israel,
weimeru Amejn.
Und sprechet: Amejn.
06.11.2011
“Schana tova !” - Jüdische Gemeinde Speyer feiert Neujahrsfest
von Gerhard Cantzler
Mit einem herzlichen “Schana tova u’metuka” - einem
“guten und süßen (Neuen) Jahr”, dem traditionellen Neujahrswunsch
der Juden in aller Welt grüßt der SPEYER-KURIER die
jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in unserer Stadt und wünscht
ihnen allen ein gesundes und erfolgreiches Neues Jahr, das Jahr
5772 nach jüdischer Zeitrechnung.
Auch in diesem Jahr werden
sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Speyer schon am
Vorabend des über 48 Stunden währenden Neujahrsfestes im Betsaal
ihrer Gemeinde zusammenfinden, um mit traditionellen Gebeten und
Lesungen aus der Thora nach jahrtausende altem Ritus Rückschau zu
halten auf das vergangene Jahr und um Segen für das neue zu
erbitten. Als Höhepunkt dieses Gottesdienstes wird der Schofar
geblasen, ein aus einem Widderhorn geschaffenes Blasinstrument, bei
dessen Klang sich die Juden an den Tag der Erschaffung der Welt
durch Gott erinnern - aber auch an ihre eigenen Vorfahren und an
“alle Gerechten”.
Das Neujahrsfest Rosch ha-Schana ist aber auch ein
Grund zu ausgiebigem Feiern - in der Gemeinde ebenso wie im Kreise
der Familie. Dort wird insbesondere auch Süßes gereicht -
Honigkuchen, in Honig getauchte Früchte wie Apfelscheiben und
Granatäpfel. Aus diesem Brauch erklärt sich wohl auch der Wunsch
für ein “gutes und süßes Jahr”.
Wie eng im übrigen jüdische und christliche Sitten
miteinander verwoben sind, zeigt sich gerade auch an diesen Tagen -
führen Sprachforscher doch den im deutschsprachigen Raum bis heute
beliebten Neujahrswunsch für “einen guten Rutsch” keineswegs auf
das Rutschen durch die um diese Jahreszeit ja auch mögliche Eis-
oder Schneeglätte zurück, sondern auf das Wort für das jüdische
Neujahrsfest, auf “Rosch ha-Schana”.
Deshalb noch einmal: Schana tova!
Foto: Oxana Korovai
28.09.2011
Der SPEYER-KURIER ruft der neuen, der wiedererstandenen jüdischen Gemeinde ein herzliches SHALOM zu
Nach den Gräueln des Nationalsozialismus und der
Ermordung von sieben Millionen Juden in ganz Europa schien der
Glaube an ein Wiedererstehen eines jüdischen Gemeindelebens in
Speyer aussichtslos. Vielleicht war es der Optimismus von Berthold
Böttigheimer, der seiner Vaterstadt auch über den Holocaust hinaus
die Treue hielt, der den Hoffnungsfunken an ein solches “Wunder” am
Glimmen hielt. Er konnte es nicht mehr erleben, dass sich 1996 nach
dem Zuzug zahlreicher Juden aus den Ländern der ehemaligen
Sowjetunion wieder eine jüdische Gemeinde in Speyer
konstituierte.
Und noch mehr gefreut hätte es ihn sicher, wenn er
hätte miterleben können, wie am 8. November 2009 in den Mauern der
ehemals katholischen Kirche St. Quido auf dem Weidenberg der
Grundstein für eine neue Synagoge gelegt wurde.
Auf den Tag genau 73 Jahre nach der Zerstörung der
letzten jüdischen Synagoge wird das neue Gotteshaus am 8. November
2011 feierlich seiner Bestimmung übergeben werden.
Es wird dann als ein Ort des jüdischen Glaubens
zugleich ein Zeugnis dafür sein, dass auch Terror und Unrecht es
auf Dauer nicht vermögen, die Menschen von ihrem Schöpfer zu
entzweien.
Der SPEYER-KURIER nimmt dieses Ereignis zum
Anlass, dem jüdischen Leben in Speyer ab sofort eine eigene Rubrik
zu widmen und mit Beiträgen über Vergangenheit und Gegenwart des
Judentums in unserer Stadt die Zusammengehörigkeit der jüdischen
Gemeinde mit ihren Mitbürgern in der neuen Heimatstadt zu
dokumentieren.
Der SPEYER-KURIER ruft der neuen, der
wiedererstandenen jüdischen Gemeinde zu Speyer ein ebenso
aufrichtiges wie herzliches SHALOM zu - möge die
Gemeinschaft von Juden und Nichtjuden in unserer Stadt eine lange,
lange Zukunft haben. cr
16.08.2011
Niki-Schüler reinigen Mahnmal für die ermorderten Speyerer Juden am Kaufhof
Niki-Schüler
setzen Zeichen mit ungewöhnlicher Aktion
Am Freitag nachmittag trafen sich 21 Schüler und Schülerinnen
des Nikolaus-von-Weis-Gymnasiums und reinigten das Speyerer Mahnmal
für die ermordeten jüdischen Bürger. Das Monument an der Ecke
Hellergasse/Karlsgasse, ein großer Gedenkstein mit Baldachin,
erinnert an Deportation und Ermordung von 82 Speyerer Juden. Für
die Gruppe Jugendlicher des diesjährigen Austauschs mit der
israelischen Partnerstadt Yavne ist diese Arbeit jedoch mehr als
Pflege der Erinnerung an das Verbrechen aus der Zeit der
Nazi-Diktatur.
17.09.2011