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Speyer kann - wie kaum eine andere deutsche Stadt - auf eine lange und reiche jüdische Geschichte zurückblicken

Bereits im 11. Jahrhundert ist die Ansiedlung jüdischer Mitbürger in der Stadt dokumentiert, als der Speyerer Bischof Rüdiger eine große Anzahl Juden, die vor der Verfolgung aus Mainz geflüchtet waren, zur Ansiedlung in seiner Bischofsstadt einlud. Um ihnen ihr Auskommen zu sichern, verlieh der Bischof den jüdischen Neubürgern verschiedene Rechte und Privilegien mit der Begründung, dass ihre Anwesenheit “die Ehre der Stadt tausendfach vergrößere”. So durften sie u.a. uneingeschränkt Handel betreiben , waren von bestimmten Maut- und Zollpflichten befreit und durften Nicht-Juden als Dienstboten beschäftigen. Auch galt für die Juden eine eigene Rechtsprechung, die durch einen Archisynagogos, , einen Ältesten der jüdischen Gemeinde und nicht durch einen christlichen Richter ausgeübt wurde. Auch die Einrichtung eines eigenen Friedhofes wurde ihnen gestattet.

All diese Rechte wurden 1090 von Kaiser Heinrich IV. bestätigt und noch erweitert.

Obwohl es damals auch in Speyer zu vereinzelten Übergriffen gegen Juden kam - so ermordeten Kreuzritter im Jahr 1096 einige Mitglieder der jüdischen Gemeinde - konnten pogromartige Massenmorde, wie sie in anderen Städten des Rheinlandes stattfanden, durch den wirksamen Schutz des Bischofs verhindert werden.

In den nachfolgenden 100 Jahren wuchs die jüdische Gemeinde in Speyer kontinuierlich an und entwickelte sich zu einem der wichtigsten abendländischen Zentren für das Studium des Talmud, das bedeutende jüdische Gelehrte hervorbrachte. In dieser Zeit machten sich die jüdischen Gemeinden in Speyer, Worms und Mainz als “Stätten jüdischer Gelehrsamkeit” unter dem Namen “SCHUM-Städte” - nach den hebräischen Anfangsbuchstaben der drei Städte - einen Namen in der gesamten, damals bekannten Welt und wurden zur anerkannten Autorität in allen rechtlichen und religiösen Fragen für Juden in ganz Deutschland.

In der Folge der Pest-Epidemie des Jahres 1349 kam es dann allerdings auch in Speyer zu schweren Pogromen gegen jüdische Mitbürger - die jüdische Gemeinde zu Speyer ging unter.

In den folgenden Jahrzehnten bis zum Ende des 15. Jahrhunderts siedelten sich zwar immer wieder Juden in Speyer an und versuchten, neue Gemeinden zu gründen. Sie erreichten jedoch nie mehr die hohe Blüte und das internationale Ansehen aus der Zeit des “SCHUM”-Bundes. Statt dessen mußten die Juden immer wieder mit Verboten und Einschränkungen leben, sowie Vertreibungen erleiden.

Erst im 19. Jahrhundert begann die jüdische Gemeinde in Speyer wieder zu wachsen. Ein reges Gemeindeleben entfaltete sich, das sich gleichberechtigt und im besten bürgerschaftlichen Miteinander mit den Christen der Stadt zum gemeinsamen Wohl entwickelte. Juden in Deutschland bewiesen ihre patriotische Gesinnung durch ihre selbstverständliche Teilnahme am Ersten Weltkrieg, in dem über 12.000 deutsche Juden ihr Leben ließen, darunter auch zahlreiche Speyerer.

Erst mit dem wachsenden Antisemitismus der dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts ging diese Zeit zu Ende: Speyerer Juden begannen, in größere Städte abzuwandern oder zu emigrieren. 1939 lebten noch 77 Juden in der Stadt, die mit Ausnahme des Kaufmanns Berthold Böttigheimer von den Nazis ermordet wurden. Böttigheimer, der bis zu seinem Tod im Jahre 1960 als angesehener Bürger der Stadt zurückgezogen in Speyer lebte, wurde während der gesamten Zeit der Verfolgung von Freunden vor den Nazi-Schergen versteckt. cr

16.08.2011


“Geschäftsbuch” der Jüdischen Gemeinde Speyer aus dem Jahr 1923 heimgekehrt

cr. Speyer. Ein ungemein spannendes Zeugnis des regen jüdischen Lebens in Speyer in einer bewegten Zeit ist jetzt wieder nach Speyer zurückgekehrt: Das “Geschäftsbuch” der Jüdischen Kultusgemeinde Speyer für das Jahr 1923 kam jetzt durch eine Überlassung des Jüdischen Museums in Worms in den Besitz des Speyerer Archivs. Nach Worms war es im Jahr 1996 gekommen, als der Wormser Bürger Heinrich Föhr dieses Rechnungsbuch dem dortigen Jüdischen Museum mit der Maßgabe überließ, es nach Speyer weiterzuleiten, sobald dort eine eigene Synagoge und ein eigenes Jüdisches Museum entstehen würden. Wie er selbst in den Besitz dieses Dokumerntes kam, ist nicht bekannt.

In Kürze sind jetzt beide Voraussetzungen erfüllt: Das Jüdische Museum SCHPIRA bei der alten Synagoge und der Mikwe wurde am 9. November 2010 eingeweiht - auf den Tag genau ein Jahr später wird die neue Synagoge am Weidenberg ihrer Bestimmung übergeben. Für die Verantwortlichen des Wormser Stadtarchivs, die die Archivalien des dortigen Jüdischen Museums verwahren, der richtige Zeitpunkt, den Willen des Stifters dieses wertvollen Dokumentes zu erfüllen.

Margit Rinker-Olbrisch vom Wormser Stadt-Archiv war deshalb heute nach Speyer gekommen, um das äußerlich zwar unscheinbare, historisch aber umso wertvollere Geschenk an Kulturbürgermeisterin Monika Kabs und den Leiter des Speyerer Stadtarchivs, Dr. Joachim Kemper, zu überreichen.

Das in feinster Kanzleischrift handgeschriebene Geschäftsbuch aus den frühen Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts bietet über die “trockene” Rechnungslegung hinaus einen eindrucksvollen Einblick in das Gemeindeleben der jüdischen Gemeinde in Speyer in einer dramatischen Zeit, als das Wirtschaftsleben in Deutschland beherrscht war von einer unvorstellbaren, im wahrsten Sinne galoppierenden Inflation.

In der “Umlagen-Hebliste der Jüdischen Kultusgemeinde Speyer” in dem Geschäftsbuch tauchen deshalb nicht nur die Namen all der jüdischen Familien auf, die den Lesern des SPEYER-KURIER bereits durch die Reihe der “Lebensbilder jüdischer Mitbürger” gut bekannt sind bzw. an die in den nächsten Wochen noch ausführlicher erinnert werden wird, sondern sie weisen allein schon in den Mitgliedsbeiträgen Summen aus, die sich durch das Jahr 1923 hindurch in astronomische Höhen empor schraubten. Das galt im gleiche Weise für die von der Gemeinde zu bezahlenden Rechnungen und Gehälter, die sich innerhalb weniger Monate für gleiche Leistungen von wenigen tausend Mark über hunderttausende und Millionen Mark auf Milliarden steigerten - eine Zeit, in der der Gegenwert einer Rechnung in der Zeit, die man brauchte, um sie auszufertigen, schon längst wieder überholt war.

Das einzig konstante waren da noch die Prämiensummen, die in den Feuer- Versicherungspolicen für das Synagogengebäude und für das Inventar aufgeführt waren und die ebenfalls dem Akt beigefügt sind - auch wenn diese quasi “minütlich” an Wert verloren.

Die Weltwirtschaftskrise war damit auch bei der jüdischen Gemeinde in Speyer angekommen - und mit ihr die Vorboten der unvorstellbaren Welle von Antisemitismus und Judenverfolgung im folgenden Jahrzehnt.

Wie Bürgermeisterin Monika Kabs erklärte soll das zeitgeschichtlich bedeutende Dokument nicht in den Tresoren des Stadtarchivs verschwinden, sondern der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Wo und in welcher Form dies möglich werden wird, muss nach der überraschenden Überlassung noch geklärt werden. Für wissenschaftliche Forschungs- und Studienzwecke kann das Dokument allerdings schon ab sofort im Stadtarchiv eingesehen werden. Foto: sim

13.10.2011